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Wirkungen von Gewaltdarstellungen
1. Zur Aktualität des Themas
Die Thematik „Medien und
Gewalt1“ ist auch heute noch von großer Aktualität.2 Obwohl es keinen
Bereich der Medienwirkungsforschung gibt, zu dem mehr Studien vorliegen, ist die
Publikationsflut ungebrochen.3 Schätzungen gehen von inzwischen über 5 000
Studien zur Gewaltthematik aus, wobei die Quantität der Veröffentlichungen
allerdings wenig über die Qualität der Forschungsergebnisse aussagt, auf deren
Defizite noch näher eingegangen wird.
Nicht nur die Wissenschaft, auch die Politik befaßt sich immer wieder mit dem
Problem der Mediengewalt. So unterzeichnete Präsident Bill Clinton im Februar
1996 ein neues Mediengesetz (Telecommunications Reform Act), demzufolge in zwei
Jahren jedes neue Fernsehgerät mit einem sogenannten V-Chip (Violence-Chip)
ausgestattet sein muß. Mit Hilfe dieses V-Chip sollen Kinder vor dem Konsum von
Gewalt, Sex und vulgärer Sprache geschützt werden. Clinton, der sich für
diese Regelung stark engagiert hat,4 führte aus, der Chip sei „designed to
strengthen families in their abilities to protect their children from televised
violence and other inappropriate programs as they determine.“5
Angesichts der Alternative, daß die Regierung ein Bewertungssystem entwickelt,
entschied sich die Fernsehindustrie dafür, selbst ein Klassifikationsschema
(zum Beispiel nach Alter, Ausmaß von Gewalt und so weiter) für ihre Programme
zu erarbeiten. Nachrichtensendungen und Sportübertragungen sollen von der
Codierung zunächst ausgenommen bleiben.6 Ted Turner kommentierte die Regelung
mit den Worten: „We're voluntarily having to comply.“7 Angesichts der großen
Menge der täglich ausgestrahlten Fernsehstunden (zur Zeit ca. 1 640 Stunden über
70 Kanäle)8 stellt sich allerdings die Frage, ob sich die geplanten Maßnahmen
tatsächlich erfolgreich umsetzen lassen. Außerdem erhebt sich das Problem,
nach welchen Kriterien die Programme bewertet werden sollen und welche
Definition von Gewalt dabei zugrundegelegt wird.
Im Zusammenhang mit der Einführung des V-Chips äußerte Clinton bei der
Unterzeichnung des Gesetzes am 8. 2. 1996: „A comprehensive study released
just yesterday confirms what every parent knows; televised violence is pervasive
and numbing, and if exposed constantly to it, young people can develop a numbing,
lasting, corrosive reaction to it.“9 Hier scheint der Präsident, wie bei
Politikern nicht unüblich, sich selbst zum Wirkungsexperten zu ernennen. Die
erwähnte Studie, die im Auftrag der National Cable Television Association an
vier Universitäten durchgeführt wird, ist auf drei Jahre angelegt (Beginn:
Juni 1994). Das Projekt umfaßt eine Inhaltsanalyse fiktionaler und realer
Fernsehsendungen, eine Untersuchung der Gewalteinstufungen (violence ratings)
und Empfehlungen, die im Fernsehen gegeben werden, und ihre Wirkung auf die
Sehentscheidung von Eltern und Kindern, sowie eine Analyse der Effektivität von
Anti-Gewalt-Botschaften und Erziehungsinitiativen, die von der Fernsehindustrie
ausgehen.10
Eine Einführung eines V-Chip ist mittlerweile im übrigen auch in Europa
vorgesehen. Die europäische Fernsehrichtlinie soll um den Artikel 22 a ergänzt
werden, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, für eine Klassifizierung der
Programme ihrer Rechtshoheit unterliegender Fernsehveranstalter „unter Berücksichtigung
ihres möglichen Schädigungsgrades für Minderjährige“ zu sorgen. Außerdem
soll jedes Fernsehgerät mit „der technischen Vorrichtung zur Filterung von
Programmen ausgestatten werden.“11 Für beide Regelungen ist eine Frist von
einem Jahr vorgesehen.
Erwähnenswert ist in diesem Kontext auch die Tatsache, daß die internationale
Diskussion zur Wirkung von Mediengewalt inzwischen von der UNESCO aufgegriffen
worden ist. 1997 wurde eine internationale Clearingstelle12 für die Thematik
Kinder und Gewalt auf dem Bildschirm gegründet.13 Das Ziel ist die Sammlung und
Verbreitung von Informationen über Forschungsergebnisse zum Thema Kinder und
Mediengewalt, den Zugang von Kindern zu Massenmedien und ihre Mediennutzung,
Ausbildungsmöglichkeiten im Bereich Kinder und Medien, positive Alternativen zu
Mediengewalt und Maßnahmen und Aktivitäten zur Begrenzung unnötiger Gewalt in
Fernsehen, Filmen und interaktiven Medien.14
2. Zur Einschätzung
des Forschungsstandes
In der Forschung besteht weitgehend Konsens,
daß, zumindest was bestimmte Individuen und Problemgruppen angeht, durchaus
eine negative Wirkung von Gewaltdarstellungen anzunehmen ist. Gleichwohl ist
davor zu warnen, daß sozusagen das Kind voreilig mit dem Bade ausgeschüttet
wird, die legitimen Rechte des Zuschauers auf spannende Unterhaltung, die auch
Gewalt und Horror umfaßt, mißachtet werden und schließlich Zensur ausgeübt
wird, die immer die Neigung in sich trägt, schließlich auch die
Informationssendungen einzuschließen.
Hinsichtlich der Qualität der Forschung gilt noch immer ein Resümee, das die
DFG-Kommission Wirkungsforschung 1986 gezogen hat, nämlich daß man über den
Zusammenhang zwischen Massenkommunikation und Gesellschaft, über die
Wirkungsgesetze der Medien, zu wenig wisse.15 Ferner wurde konstatiert, daß die
vorliegenden Forschungsarbeiten zwar thematisch vielfältig, aber zugleich auch
disparat wären. Oft gebe es zu einem bestimmten Problem nur eine einzige
Studie. Anschlußuntersuchungen, Replikationen oder Falsifikationsversuche seien
die Ausnahme. Dadurch entstehe der Eindruck von bruchstückhaften, zerstückelten
Befunden, zwischen denen kein Zusammenhang bestehe, die einander sogar
widersprechen würden. Bei einer solchen Datenlage sei an eine theoretische
Integration der vielen Einzelergebnisse nicht zu denken. Die Forderung nach der
einen Theorie der Medienwirkung sei nicht erfüllbar, weil die Medien und ihre
Inhalte viel zu verschieden wären. Auch seien die Randbedingungen, unter denen
die Medien wirkten, viel zu komplex, als daß es möglich wäre, sie in einem
konsistenten Satz von Hypothesen zusammenzufassen. Von der Kommission werden
deshalb Bemühungen um Wirkungstheorien geringer oder mittlerer Reichweite
gefordert; angemahnt werden in diesem Kontext auch Theorien zur Wirkung von
Gewaltdarstellungen.
Ein Musterbeispiel für eine verworrene Forschungslage ist der Forschungsbericht
„Television and Behavior“, in dem im Jahre 1982 die amerikanische
Wirkungsforschung der zehn davorliegenden Jahre zusammenfassend gewürdigt wurde
(U. S. Department of Health and Human Services). Auf Seite 89 ist innerhalb
eines einzigen Absatzes zu lesen, daß die jüngsten Forschungsergebnisse die früheren
Befunde bestätigen würden, wonach zwischen Fernsehgewalt und späterer
Aggressivität eine Kausalbeziehung bestehe. Wenige Zeilen später steht,
bislang habe keine einzige Studie den eindeutigen Nachweis dafür erbracht, daß
der Konsum von Fernsehgewalt zu späterer Aggressivität führe.
Auch sogenannte Meta-Analysen, bei denen versucht wird, die zu einem bestimmten
Untersuchungsgegenstand vorliegenden Studien einer statistischen Reanalyse zu
unterziehen, reflektieren den desolaten Forschungsstand. Es ist bislang nicht
gelungen, die zur Problematik Medien und Gewalt vorliegenden Studien in ihrer
Aussagekraft zu bündeln.16 Bereits eine Analyse der zum speziellen
Forschungsbereich Habitualisierung durch Mediengewalt vorliegenden Befunde
zeigt, daß die in den Studien erhaltenen Ergebnisse bruchstückhaft,
zusammenhanglos und widersprüchlich sind.17 Auch die von Heajung Paik und
George Comstock18 durchgeführte Meta-Analyse19, die eine durchaus brauchbare,
wenn auch unkritische Systematisierung der Forschung darstellt, entspricht nicht
den an eine Meta-Analyse gestellten Anforderungen. So werden etwa im Design
einzelner Studien liegende Probleme nicht berücksichtigt (es sei nur verwiesen
auf das Feldexperiment zur „cognitive support hypothesis“ von Seymour
Feshbach und Robert D. Singer20, auf die absolut unbegründete Überinterpretation
älterer lerntheoretischer Studien von Albert Bandura, Dorothea und Sheila A.
Ross21 oder die Datenfehlinterpretationen im Rahmen der Langfriststudie von
Monroe M. Lefkowitz und anderen22). Schlechte Studien werden nun einmal nicht
dadurch besser, daß man sie immer wieder zitiert oder unkritisch einer „Meta-Analyse“
unterzieht.
Ein erhebliches Problem der Medien-und-Gewalt-Forschung besteht in der
mangelnden Weiterentwicklung der Forschungsinstrumente. Dies bestätigt eine
Untersuchung von Mike Friedrichsen und Stefan Jenzowsky über Methoden und
Methodologie ausgewählter Studien der 90er Jahre zum Thema Gewalt in den
Medien. Die Autoren überprüften, ob beziehungsweise inwieweit neuere Studien
aus den Fehlern älterer Untersuchungen gelernt haben und kamen zu dem enttäuschenden
Ergebnis, daß in bezug auf Design und Forschungsmethoden nur geringe
Fortschritte erzielt wurden.23
Ein gutes Beispiel für die Wiederholung alter Fehler in Form abenteuerlich
anmutender Kausalbeziehungen ist eine Studie von Brandon S. Centerwall24, in der
die Einführung des Fernsehens für eine zehn bis 15 Jahre später – nach dem
Heranwachsen der ersten TV-Generation – konstatierte Verdoppelung der Mordrate
verantwortlich gemacht wird. Der Autor versteigt sich gar zur Quantifizierung
der Anzahl von Straftaten, die ohne das Fernsehen hätten verhindert werden können.
3. Ausgewählte
Thesen zur Wirkung von Gewaltdarstellungen
Im folgenden soll ein kurzer Überblick über einige zentrale Thesen der
Medien-und-Gewalt-Forschung gegeben werden:25
Die Katharsisthese, die sich bis auf
Aristoteles zurückführen läßt, findet ihre zweite Quelle in der von Josef
Breuer und Sigmund Freud entwickelten expressiven Psychotherapie oder
Katharsistherapie, in der die Hypnose dazu verwendet wurde, den Widerstand gegen
das Auftreten des Verdrängten zu überwinden und dadurch das Abreagieren
unterdrückter Affekte zu ermöglichen. Anhänger der Katharsisthese, die
zumeist von der Existenz eines angeborenen Aggressiontriebes ausgehen,
behaupten, durch das dynamische Mitvollziehen von an fiktiven Modellen
beobachteten Gewaltakten in der Phantasie werde die Bereitschaft des Rezipienten
abnehmen, selbst aggressives Verhalten zu zeigen (Postulat der funktionalen Äquivalenz
der Aggressionsformen).
Von der Katharsisthese gibt es mehrere Varianten. Zuerst wurde behauptet, jede
Form der Phantasieaggression habe kathartische Effekte. Dann wurde argumentiert,
ein in der Phantasie erfolgendes Mitvollziehen aggressiver Akte reduziere nur
dann Aggression, wenn der Rezipient emotional erregt oder selbst zur Aggression
geneigt sei. Eine dritte Variante legt das Schwergewicht auf inhaltliche Aspekte
und postuliert das Auftreten kathartischer Effekte, wenn Schmerzen und
Verletzungen des oder der Aggressionsopfer(s) in aller Ausführlichkeit gezeigt
würden. Alle drei Formen der Katharsisthese können als empirisch widerlegt
betrachtet werden. Eine durch das Ansehen violenter Medieninhalte bewirkte
Aggressivitätsminderung aufgrund des Abfließens des Aggressionstriebs erfolgt
nicht. Inzwischen ist auch Seymour Feshbach, der die Katharsisthese lange Zeit
vertreten hat, von seiner Position abgewichen und wertet die vorliegenden
Befunde neu: „Die Ergebnisse zeigen mir, daß die Bedingungen, unter denen
eine Katharsis auftreten kann, nicht alltäglich sind, während die aggressionsfördernden
Bedingungen sehr viel häufiger vorkommen.“26
Allerdings stellte Jürgen Grimm in einer 1993/94 durchgeführten Studie27 fest,
daß der Konsum von Spielfilmgewalt zumindest kurzfristig eine
Aggressionsminderung bewirken kann. Die reaktive Aggressivität seiner
Probanden, d. h. die Neigung, in verschiedenen sozialen Situationen selbst mit
Gewalt zu reagieren, war nach dem Filmerlebnis vermindert. Dieser Befund steht
jedoch vollkommen isoliert da. Zudem stellte Grimm außerdem eine Stimulation
von Aggressionsangst durch die Thematisierung von Gewalt fest. Die
Aggressionsreduktion kann daher auch mit Hilfe der Inhibitionsthese erklärt
werden, derzufolge beim Rezipienten durch die Beobachtung gewalttätiger
Verhaltensweisen Aggressionsangst ausgelöst wird, die die Bereitschaft
vermindert, selbst aggressiv zu handeln.
Nach der Habitualisierungsthese nimmt durch
den ständigen Konsum von Fernsehgewalt die Sensibilität gegenüber Gewalt ab,
die schließlich als normales Alltagsverhalten betrachtet werden soll.
Insbesondere William A. Belson28 kann in einer Langzeitstudie keine Belege dafür
finden, daß mit dem Ausmaß des Konsums violenter Sendungen eine Abstumpfung
gegenüber Gewalt einhergeht, Gewalt als geeignetes Konfliktlösungsinstrument
angesehen wird und der Glaube herrscht, Gewalt sei unvermeidlich. Insgesamt
gesehen liegen keine Daten vor, die diese These stützen und eine Veränderung
der Persönlichkeitsstrukturen der Rezipienten dahingehend belegen, daß sich
Gleichgültigkeit gegenüber realer Gewalt entwickelt.
Angemerkt sei, daß gemeinsam mit dem Psychologischen Institut der Universität
Mainz eine Meta-Analyse der zur Habitualisierungsthese vorliegenden
Forschungsbefunde durchgeführt worden ist.29 Insgesamt 30 Studien wurden zu
dieser Thematik für den Zeitraum 1983 bis 1992 identifiziert, wobei sich aber
zeigte, daß die wiederholte Betrachtung von Fernsehgewalt sehr unterschiedlich
operationalisiert wurde. Gesucht wurden schließlich alle Untersuchungen, die in
irgendeiner Form im Bereich Medienwirkungsforschung die Auswirkung violenter
Inhalte in zumindest quasiexperimentellen Designs durch entweder die wiederholte
Darbietung ebensolchen Materials oder die einmalige beziehungsweise mehrfache
Vorführung solchen Materials unter gleichzeitiger Berücksichtigung der
Medienbiographie zum Gegenstand hatten. Das Ergebnis der Studie war, daß die
meisten der gefundenen Untersuchungen sich eher mit anderen Wirkungsformen beschäftigen.
Die Habitualisierungsthese bedarf, und dies ist angesichts der Quantität der
Studien zur Fernsehgewalt überraschend, noch der empirischen Untersuchung.
Dessenungeachtet betrachten diverse Autoren eine Habitualisierung als bereits
nachgewiesen. So behauptet Werner Glogauer, ohne empirische Belege anzugeben,
zur Wirkung von Filmen: „Eine Folge ist auch die Unempfindlichkeit bei ausgeübter
Gewalt gegenüber anderen, und was in letzter Zeit immer mehr auffällt, auch
die Unempfindlichkeit gegenüber sich selbst – man ist darauf eingestellt,
selbst physisch und psychisch geschädigt zu werden. Damit ist ein hoher Grad an
Verrohung erreicht.“30
Auch Jürgen Grimm vertritt die These, der ungehemmte und inflationäre Einsatz
von Gewaltbildern in den Nachrichten würde die Zuschauer im Sinne einer
Habitualisierung an Gewalt gewöhnen. Allerdings sei man derzeit von einer
solchen Desensibilisierung noch weit entfernt: „Die von uns untersuchten
Nachrichtenseher zeigten bei Gewaltdarstellungen so starke körperliche
Erregungszustände, daß sozioemotionaler Schaden eher in bezug auf emotionale
Überforderung als in Richtung auf Abstumpfung zu erwarten ist.“31
Die eher simple Suggestionsthese, die
besagt, daß die Beobachtung von Mediengewalt beim Rezipienten zu einer mehr
oder weniger direkt anschließenden Nachahmungstat führe, wird in der
wissenschaftlichen Literatur nicht mehr vertreten. In den USA sind aber eine
Reihe von Studien veröffentlicht worden, deren Resultate die These stützen, daß
für bestimmte erwachsene Rezipienten das Konzept der Suggestion unter
bestimmten Bedingungen zur Erklärung von in der natürlichen Umgebung
auftretenden Effekten des Konsums von Mediengewalt geeignet zu sein scheint. So
konnte David P. Phillips aufzeigen, daß die Selbstmordziffer nach der Veröffentlichung
von Berichten über Selbstmorde (zum Beispiel Marilyn Monroe) sowohl in den USA
als auch in Großbritannien anstieg (Werther-Effekt)32.
Phillips behauptet auch, die Nachahmung fiktiver Selbstmorde im Rahmen von Soap
Operas nachgewiesen zu haben. Im Jahre 1977 stieg demnach in den USA die Zahl
der Selbstmorde unmittelbar nach der Sendung von fiktiven Selbstmorden in Soap
Operas statistisch signifikant an. Der Autor führt diesen Zusammenhang kausal
auf die massenmedialen Inhalte zurück, die imitative Selbstmorde auslösen könnten.33
In einer Reanalyse der Daten weisen Ronald C. Kessler und Horst Stipp allerdings
den Schluß zurück, zwischen Selbstmorden in Soap Operas und in der Realität
bestehe ein Kausalnexus. Der entscheidende Kritikpunkt ist, daß Phillips als
Quelle für die Sendung der fiktiven Selbstmorde Inhaltsangaben in Zeitungen
benutzt hat. In acht der dreizehn von Phillips angeführten Fällen lag eine
Fehldatierung vor, d. h. der Anstieg der Selbstmordrate erfolgte, bevor die
jeweilige Sendung, die kausal verantwortlich sein sollte, im Fernsehen gezeigt
worden war.34
Die Behauptung, gewalttätige Medieninhalte bewirkten nicht nur in Einzelfällen,
was unumstritten ist, sondern regelmäßig monokausal und direkt violentes
Verhalten, wird noch immer von den Massenmedien, insbesondere von der
Boulevardpresse, sowie von anderen nicht wissenschaftlich geschulten Beobachtern
vertreten. Es ist anzunehmen, daß derartige Berichte Tätern nicht selten als
Informationsquelle für die Rationalisierung beziehungsweise Rechtfertigung (ex
ante und ex post facto) ihres Verbrechens dienen.35 Möglicherweise liegt hier
eine Gefahr massenmedialer Gewaltdarstellung (besser: der öffentlichen
Diskussion über deren Wirkungen): Das Wissen des potentiell delinquenten
beziehungsweise violenten Individuums, durch den Verweis auf die Massenmedien
die Verantwortung für das eigene Verhalten ex post facto als minimal hinstellen
beziehungsweise gar ganz abwälzen zu können.
Die Vertreter der
„Rationalisierungs-These“ argumentieren, aggressive Individuen würden
deshalb violente Programme konsumieren, weil sie ihr eigenes Verhalten dann als
normal einstufen36 beziehungsweise sich die Illusion aufbauen könnten, sie
agierten wie ein populärer Fernsehheld. Das Erlernen kriminellen
beziehungsweise violenten Verhaltens schließt das Erlernen von
Rationalisierungstechniken ein, die es einem Individuum erlauben, ein günstiges
Selbstbild zu bewahren, wenn zugleich ein mit einem solchen Selbstbild
unvereinbares Verhalten gezeigt wird. Rechtfertigungen (Rationalisierungen) schützen
das Individuum vor Selbstvorwürfen nach dem Begehen einer Tat. Es besteht auch
die Möglichkeit, daß sie einer Tat (zum Beispiel einer Vergewaltigung)
vorausgehen und das kriminelle Verhalten erst ermöglichen. Solche
Rechtfertigungen wären zum Beispiel Verneinung des Unrechts oder die Ablehnung
des Opfers, das bekomme, was es verdiene.
Die Zurückweisung der Verantwortung als Rationalisierungstechnik erlaubt es dem
Delinquenten, sich selbst als fremdbestimmt und als Spielball externer Kräfte
zu sehen (Billardball-Konzeption). Die Bereitschaft, externe Kräfte für das
eigene delinquente Verhalten verantwortlich zu machen, ist offenbar um so größer,
je mehr ein Individuum sich als machtlos wahrnimmt.
4. Lerntheoretische
Überlegungen
Zur Einordnung der hinsichtlich mittel- und
langfristiger Wirkungen erhaltenen Befunde sind unseres Erachtens
lerntheoretische Überlegungen37 am besten geeignet. Allerdings kann auch die
Lerntheorie nicht alle Aspekte berücksichtigen, wie etwa auf der Ebene von
Individuen die Angstproblematik oder auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene die
Frage der Schaffung anomischer Situationen.
Aus der Sicht der Lerntheorie werden die Menschen weder als allein durch innere
Kräfte angetrieben noch als allein durch Umweltstimuli vorwärtsgestoßen
gesehen. Die psychischen Funktionen werden vielmehr durch die ständige
Wechselwirkung von Determinanten seitens der Person und seitens der Umwelt erklärt.
Dieser reziproke Determinismus besagt, daß Erwartungen Menschen beeinflussen,
wie sie sich verhalten, und daß die Folgen dieses Verhaltens wiederum ihre
Erwartungen verändern. Das Verhalten der Menschen ist dadurch ausgezeichnet, daß
sie durch die symbolische Repräsentation absehbarer Ereignisse zukünftige
Konsequenzen zu Beweggründen gegenwärtigen Verhaltens machen können. Die
meisten Handlungen sind also weitgehend antizipatorischer Kontrolle unterworfen.
Diese Fähigkeit, in der Zukunft mögliche Konsequenzen auf gegenwärtiges
Verhalten zurückzubeziehen, fördert vorausschauendes Verhalten und zwar auch
in bezug auf violentes Verhalten. Die Ausübung aggressiven Verhaltens ist
normalerweise Hemmungen unterworfen, d. h. solche regulativen Mechanismen wie
soziale Normen, Furcht vor Bestrafung und Vergeltung, Schuldgefühle und Angst
unterbinden vielfach das Manifestwerden von Aggression. Ferner ist Verhalten
nicht situationsübergreifend konsistent, d. h. es dürfte praktisch unmöglich
sein, zum Beispiel Jugendliche aufzufinden, die sich gleichermaßen aggressiv
gegenüber Eltern, Lehrern, Gleichaltrigen und so weiter verhalten. Im Kontext
der Lerntheorie wird berücksichtigt, daß Handeln durch Denken kontrolliert
wird, daß verschiedene Beobachter verschiedene Merkmalskombinationen von
identischen Modellen übernehmen und auch zu je neuen Verhaltensweisen
kombinieren können. So gesehen ist auch der Befund von Brent D. Slife und
Joseph F. Rychlack38, daß Kinder, die keine Präferenz für violente
Medieninhalte besitzen, auch nach langdauerndem Kontakt mit Mediengewalt
keinerlei Neigung zeigen, dieses Verhalten nachzuahmen, kein Widerspruch zur
Lerntheorie.
Im Rahmen der Lerntheorie wird berücksichtigt, daß verschiedene Rezipienten
identische Inhalte unterschiedlich wahrnehmen. Früh untersuchte die Rezeption
von Fernsehgewalt, wobei er von einem dynamisch-transaktionalen Ansatz ausging,
d. h. Wirkungen werden nicht als einseitige, kausale Beeinflussung gesehen
sondern als Resultat einer Wechselwirkung von Medienbotschaft und
Publikumswahrnehmung verstanden. Früh sieht folgendes grundsätzliches Problem:
„Kann in einem Wirkungszusammenhang eine Fernsehszene als Gewalt wirksam
werden, wenn sie der Rezipient gar nicht als solche indentifiziert? Oder ist in
einem Medienangebot Gewalt enthalten, wenn das Publikum keine Gewalt erkennt?
Wenn aber nicht sicher ist, ob das Publikum die Inhalte auch als Gewalt erkennt,
ist es sinnvoll, im transaktionalen Sinne das wirksame Gewaltpotential zu
evaluieren, das heißt, als interpretiertes normatives Gewaltangebot zu
beschreiben.“39 Früh stellt differenzierte kognitive Reaktionen auf
unterschiedliche Formen von Gewalt fest, d. h. Rezeption ist ein aktiver Prozeß.
Differenzierte Ergebnisse legen auch Michael Charlton und andere in einigen jüngeren
Studien vor.40 Die Autoren untersuchten zunächst die individuellen
Voraussetzungen der Rezeption von Fernsehgewalt bei Kindern und Jugendlichen im
Alter von zwölf bis 15 Jahren. Eine zweite Studie befaßte sich mit dem
Vorwissen vor der Rezeption, wobei sich zeigte, daß aggressionsbereite
Jugendliche eine relativ homogene Gruppe mit einem differenzierten Wissen über
Filmgattungen darstellen, d. h. sie wissen, was sie sehen wollen und was sie
erwartet, wenn sie einen bestimmten Film auswählen. In einer dritten Studie
wurden 20 Jungen und zehn Mädchen mit dem Film „Terminator 2“ (mit Arnold
Schwarzenegger) konfrontiert, wobei in diesem Film sowohl männliche als auch
weibliche Protagonisten aggressiv waren. Die Probanden wurden in Einzelgesprächen
zu ihren Seherlebnissen befragt. Es ergaben sich deutliche
geschlechtsspezifische Unterschiede. Mädchen waren vom Film stärker betroffen
als Jungen und machten öfter Aussagen über innere Vorgänge, die der Film bei
ihnen ausgelöst hatte. Eine vierte Studie schließlich befaßte sich mit
Kommunikation über Medienerfahrung nach der Rezeption. Dabei wurden die
Probanden aufgefordert, Nacherzählungen beziehungsweise einen fiktiven Brief zu
schreiben. Die Autoren unterscheiden vier Typen. Die „Realisten“ berichteten
über die gewalttätigen Szenen entsprechend deren Bedeutung im Film. Die „Abschwächer“
spielten das Ausmaß der Gewalt herunter. Weiter wurde ein „Meta-Typus“, der
eher reflektierend über den Film schrieb, und ein „Mischtypus“
unterschieden. Zusammenhänge mit der Aggressionsbereitschaft konnten nicht
aufgefunden werden. Insgesamt zeigen die Studien, wie unterschiedliche kognitive
und soziale Strategien bei der Rezeption von Gewaltfilmen eingesetzt werden.
Allerdings sind die Beziehungen zwischen Persönlichkeitsvariablen und der
Wahrnehmung beziehungsweise Verarbeitung von Mediengewalt derart komplex, daß
die Forschung hier erst am Anfang steht.
Angesichts der vorangegangenen Überlegungen sowie des Tatbestandes, daß das
Fernsehen ja nur ein Faktor neben vielen die Persönlichkeitsentwicklung
beeinflussenden Faktoren ist, wäre ein Muster von relativ schwachen positiven
Korrelationskoeffizienten zwischen dem Konsum von Fernsehgewalt und der späteren
Aggressivität zu erwarten. Betrachtet man die in den verschiedenen Ländern
durchgeführten Studien, dann ergibt sich, von einigen Ausnahmen abgesehen,
genau dieses Muster, obwohl die auch qualitativ sehr unterschiedlichen Studien
in doch recht verschiedenen Umwelten durchgeführt worden sind. Neben dem
Problem der interkulturellen Vergleichbarkeit gibt es noch weitere methodische
Probleme, die bei diesem Verfahren des Vergleichs von Studien nicht beachtet
werden. So ist neben der Messung der Aggression auch die Operationalisierung des
Konsums von Mediengewalt (zum Beispiel durch die Erfassung der Programmpräferenzen)
sehr problematisch. Während die einzelnen Korrelationskoeffizienten jeweils für
sich nicht kausal interpretierbar sind, deutet das Gesamtmuster der Befunde auf
einen Einfluß des Fernsehens auf spätere Aggressivität hin. Die in den
Feldstudien erhaltenen Resultate entsprechen auch von der Stärke her den
Erwartungen, die aufgrund lerntheoretischer Überlegungen gehegt werden. Die
Koeffizienten variieren ungefähr zwischen 0,1 und 0,2, d. h. etwa zwischen
einem und vier Prozent des späteren aggressiven Verhaltens wird in den
Feldstudien durch den zuvorigen Konsum von Fernsehgewalt erklärt.
Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß sich die Konvention durchgesetzt hat,
Korrelationskoeffizienten, deren Stärke geringer als 0,2 ist, als unbedeutend
und uninterpretierbar nicht weiter zu beachten. Der Einwand, daß die erhaltenen
Koeffizienten zu schwach sind, berücksichtigt nicht, daß eine im Schnitt recht
schwache Beziehung für alle Probanden eines Samples für einige Probanden
beziehungsweise Subpopulationen eine durchaus starke Beziehung bedeuten kann. So
scheint bei bestimmten Personen ein sich selbst verstärkender Prozeß in dem
Sinne vorzuliegen, daß der Konsum violenter Medieninhalte die
Wahrscheinlichkeit des Auftretens aggressiven Verhaltens, (aggressiver)
Einstellungen und/oder (aggressiver) Phantasien erhöht. Dadurch wiederum steigt
die Wahrscheinlichkeit, daß violente Medieninhalte als attraktiv angesehen
werden, was wiederum die Zuwendung zu aggressiven Medieninhalten fördern
kann.41 Zu den Faktoren, die einen derartigen Prozeß begünstigen, können
unter anderem niedriges Selbstbewußtsein und soziale Isolation, die mit erhöhtem
Fernsehkonsum verbunden ist, gehören. Von entscheidender Bedeutung hinsichtlich
möglicher negativer Effekte von Mediengewalt auf Kinder und Jugendliche ist
aber die familiäre Situation. Kinder aus intakten Familien sind im Grunde sehr
wenig gefährdet. Auch für das Erlernen von Aggression gilt, daß zunächst 1.
die unmittelbare familiale Umwelt sowie 2. die Subkultur beziehungsweise die
Gesellschaft, in der man lebt, die Quellen sind, aus denen aggressives Verhalten
erlernt wird. Erst an dritter Stelle treten dann die massenmedial angebotenen
symbolischen aggressiven Modelle hinzu. Es scheint so zu sein, daß
Gewaltdarstellungen auf die Mehrheit der Betrachter keine oder nur schwache
Effekte haben, aber bei bestimmten Problemgruppen womöglich starke Wirkungen
zeigen.
Hier setzt Ekkehard F. Kleiter mit einer ausgesprochen aufwendigen Studie und
einem neuen, sehr komplexen Untersuchungsansatz an.42 Kleiter entwickelt ein
„Modell der moderiert-intervenierten und sozial-kognitiv gesteuerten
Aggression“ (MISKA). In dessen Zentrum steht eine „Aufschaukelungsspirale“
von Film-Konsum und Aggressivitätserwerb, das nach unterschiedlichen
Personentypen aufgesplittet wird und den Faktor „Reflexivität“ berücksichtigt.
Reflexivität wird im Sinne der kognitiven Psychologie als Steuergröße
verstanden, welche die Wahl und Entscheidung für oder gegen eine aggressive Lösung
in einer aktuellen Situation trifft. Nach den von Kleiter vorgelegten Befunden
werden durch das Ausmaß der Reflexivität unter anderem die Qualität und Menge
des Konsums von Filmen, die Motivation zum Filmkonsum sowie der Erwerb und die
Übernahme gesehener Gewalt in Form von Disposition zur Aggressivität
gesteuert. In seinem sehr komplexen „Modell der moderierten und hierarchisch
intervenierten Aufschaukelung“ wird eine Vielzahl von Variablen berücksichtigt,
die zur Wirkung der Medien auf die Herausbildung aggressiver Verhaltensweisen
beitragen können. Dazu gehören unter anderem: ungünstiges Milieu (zu wenig
Platz, keine alternativen Freizeitangebote), Eltern, die selbst aggressive Filme
konsumieren beziehungsweise keine Vorbilder vermitteln können, Inkompetenzüberzeugung,
Neugier, Reizsuche, mangelnde Bildung, Identifikation mit Siegern im Film, Männlichkeitsstereotyp,
Aggressivität als Persönlichkeitseigenschaft, Erfolg durch aggressives
Verhalten, Vergeltungsethik, eine negative Sicht des Weltzustandes, ein rauhes
Klima in der Peergruppe, ein Klima der Konkurrenz in der Schule, das Gefühl,
die Umwelt nicht kontrollieren zu können, ein aggressiver Erziehungsstil der
Eltern. Insgesamt trägt Kleiter durch die Einbeziehung zahlreicher
intervenierender und moderierender Größen der Komplexität von
Medienwirkungsprozessen Rechnung. Durch die Berücksichtigung dieser diversen
Faktoren stellt Kleiter in seiner Studie weit höhere Effekte fest, als dies in
den meisten bisherigen Untersuchungen der Fall war. Der Verfasser unterscheidet
dabei „eher Aggressive“ (ca. 40 Prozent) mit den Untertypen „manifest
Aggressive“ (ca. 22 Prozent) und „latent Aggressive“ (ca. 27 Prozent)
sowie „eher Friedliche“ (ca. 60 Prozent) mit den Untertypen der „aktiv
Friedlichen“ (ca. 26 Prozent) und der „passiv Friedlichen“ (ca. 34
Prozent). Als besonders bedenklich betrachtet Kleiter nicht die 2,5 Prozent
extrem Aggressiven, sondern argumentiert: „Für die Zukunft der Gesellschaft
ist die leise schlummernde Aggressivität der latent Aggressiven viel gefährlicher.
Eine vorhandene hohe latente Aggressivität kann jederzeit aktiviert
werden.“43
5. Problemgruppenanalyse
in anderer Versuch, herauszufinden, wie man solche
Problemgruppen erreicht, wurde am Institut für Publizistik der Universität
Mainz unternommen. Einen ersten Schritt stellte eine Befragung von klinischen
Psychologen und Psychiatern dar.44 Es bestand die Vermutung, daß Kinder und
Jugendliche, die mit psychischen Störungen in psychologischer oder
psychiatrischer Behandlung sind, eine derartige Problemgruppe bilden dürften.45
Die Expertenbefragung ergab unter anderem, daß der Medienkonsum der Klienten,
die ja vor allem wegen anderer Probleme den Kontakt suchen, als sehr hoch
einzuschätzen ist: 75 Prozent der Psychologen und 60 Prozent der Psychiater
halten ihre Klienten für Vielseher.
Die Experten gehen zum überwiegenden Teil von einer eher schädlichen Wirkung
der Gewaltfilme aus (71 Prozent der Psychologen und 62 Prozent der Psychiater).
Zu den Symptomen, die für die Befragten in Zusammenhang mit Effekten medialer
Gewalt stehen, gehören insbesondere aggressives Verhalten, Schlafstörungen und
Übererregbarkeit. Besonders die Aktivation aggressiven Verhaltens durch den
Konsum von filmischer Gewalt wird berichtet. Jeweils ca. drei Viertel der
Befragten gaben an, schon häufig oder gelegentlich Erfahrungen mit solchen
Wirkungen gemacht zu haben (Psychologen: 80 Prozent; Psychiater: 76 Prozent).
Sehr häufig wurde angeführt, daß Kinder und Jugendliche, wenn sie darauf
angesprochen werden, versuchen, ihr eigenes aggressives Verhalten durch
Vorbilder aus Gewaltfilmen zu rechtfertigen. Bei den Psychologen haben 63
Prozent, bei den Psychiatern 66 Prozent diese Erfahrung schon häufig oder
gelegentlich gemacht. Daß Kinder oder Jugendliche von sich aus sagen, das
Fernsehen habe Einfluß auf ihr Verhalten genommen, ist ebenfalls keine
Seltenheit in der beruflichen Praxis der Psychologen und Psychiater. Jeweils gut
40 Prozent gaben an, solche Erfahrungen schon häufig oder gelegentlich gemacht
zu haben.
Hinsichtlich des Alters, in dem Kinder und Jugendliche besonders durch
Gewaltfilme beeinflußt werden, nahm die überwiegende Mehrheit an, dies sei bei
Kindern unter zwölf Jahren der Fall (Psychologen: 82 Prozent, Psychiater: 63
Prozent). Allerdings bestand Konsens, daß die Medienwirkungen sich nicht auf
eine bestimmte Altersstufe eingrenzen lassen. Auch hinsichtlich des
Zusammenhangs zwischen Geschlecht und Medienwirkungen bestand hohe Übereinstimmung:
94 Prozent der befragten Psychologen und 85 Prozent der Psychiater sahen mögliche
Auswirkungen häufiger bei Jungen. Kein Befragter sah Mädchen als eher gefährdet
an.
Der Einfluß des Gewaltfilmkonsums auf die schulische Entwicklung wurde
ebenfalls eindeutig beurteilt: 80 Prozent der Psychologen und 75 Prozent der
Psychiater sahen hier eher negative Auswirkungen. Besonders wichtig ist, daß
die Befragten einen deutlichen Zusammenhang zwischen der häuslichen Situation
und dem Gewaltfilmkonsum annahmen. Die Bedeutung des elterlichen Vorbildes wurde
herausgestellt, und zwar sowohl deren Fernseh- und Videokonsum als auch die
Aggressivität der Eltern. Am häufigsten wurde ein Zusammenhang zwischen
vernachlässigendem Erziehungsstil und Gewaltfilmkonsum der Kinder vermutet: 42
Prozent der Psychologen und 50 Prozent der Psychiater sahen einen kausalen
Zusammenhang zwischen dieser Verwahrlosungsproblematik und dem Konsum von
Mediengewalt.46 Fernseh- oder Gewaltfilmkonsum wurde in keinem Fall von den
Experten als Alleinverursacher einer Verhaltensauffälligkeit beziehungsweise
Verhaltensstörung genannt, sondern immer nur im Zusammenhang mit anderen
Problemen aufgeführt. Trotzdem waren die Psychologen und Psychiater bei fast
jeder Fragestellung bereit, den Gewaltfilmen eine negative, verursachende Rolle
zuzugestehen: Gewaltfilme bewirken Aggressivität, prägen Rollenverhalten und
nehmen negativen Einfluß auf die Schulleistung. Auffällig ist der in vielen Fällen
genannte Zusammenhang zwischen der häuslichen Situation – also dem
Gewaltfilmkonsum der Eltern, der Gewalttätigkeit der Eltern untereinander oder
den Kindern gegenüber, dem vernachlässigenden Erziehungsstil – und dem
kindlichen Konsum von Gewaltfilmen. Dies ist nicht überraschend, denn wenn ein
kompensierender Einfluß der Eltern fehlt, dann ist die Gefahr besonders groß,
daß negative Effekte auftreten. Es kann als gesichert angesehen werden, daß
bestimmte Subpopulationen durch Gewaltdarstellungen gefährdet sind, während
Kinder und Jugendliche, die in einem „intakten“ sozialen Umfeld (Familie)
leben, nicht gefährdet zu sein scheinen. In zukünftigen Untersuchungen sollten
Personen mit einer starken Ausprägung des Persönlichkeitsmerkmals
„Aggressivität“, Kinder aus Problemfamilien, Personen aus sozialen
Brennpunkten und so weiter besonders berücksichtigt werden.
Eine zweite Untersuchung widmete sich einer Expertenkategorie, die aufgrund
ihrer Erfahrungen mit straffälligen Jugendlichen möglicherweise auch Aussagen
über die Ursachen von Gewalt beziehungsweise der den Medien dabei zukommenden
Rolle machen können, nämlich Richter und Staatsanwälte.47 Eine
Expertenbefragung dieser Berufsgruppe in Nordrhein-Westfalen ergab, daß vor
Gericht ein Einfluß massenmedialer Gewalt auf die Straftat relativ häufig in
Betracht gezogen wird. Fast die Hälfte der Befragten gab an, eine solche Begründung
ein- oder mehrmals von den Tätern gehört zu haben, wobei die offenen Antworten
vermuten lassen, daß es sich hierbei z. T. um Rationalisierungsversuche
handelt. Daß die Annahme eines Zusammenhangs zwischen Mediengewalt und Straftat
jedoch nicht nur auf interessengeleitete Erklärungen zurückzuführen ist, legt
die Tatsache nahe, daß auch ein relativ hoher Anteil der Befragten angab,
derartige Argumente von Richtern, Verteidigern und Staatsanwälten (jeweils ca.
40 Prozent) gehört zu haben. Bei Juristen ist offensichtlich unabhängig von
ihrer Funktion ein Problembewußtsein für die Folgen massenmedialer
Gewaltdarstellungen vorhanden.
Die Jugendgerichtshilfe, die die erzieherischen, sozialen und fürsorgerischen
Gesichtspunkte im Verfahren gegen jugendliche Straftäter zur Geltung bringen
soll, berücksichtigt Medieneinflüsse nach Angabe der Befragten dagegen eher
selten (knapp 55 Prozent der Befragten verneinten die Frage, die
Jugendgerichtshilfe befasse sich häufiger mit der Mediennutzung jugendlicher
Straftäter, nur 26,5 Prozent bejahten sie).
Was den Stellenwert der Medien bei der Verursachung von Straftaten betrifft, so
fanden zwar Aussagen, die die von Mediengewalt ausgehende Wirkung auf die
kriminelle Entwicklung von Jugendlichen betonen, starke Zustimmung bei den
Befragten, jedoch bestand die Tendenz, den Faktor Medien nicht als alleine
ausschlaggebend zu betrachten, sondern die Rolle des erzieherischen Umfeldes,
des Milieus sowie auch des Alkohol- und sonstigen Drogengebrauchs zu betonen.
Hinsichtlich konkreter Wirkungsvorstellungen wurde sowohl eine veränderte
Einstellung der Straftäter zur eigenen Gewalt als auch eine Abstumpfungswirkung
von über 90 Prozent der Befragten angenommen. Direkte Nachahmung und
situationale Erregung dagegen hielten jeweils nur knapp zwei Drittel der
Befragten für wahrscheinlich. Eine Persönlichkeitsveränderung nahm nur gut
die Hälfte der Befragten an.
Das größte Wirkungspotential schrieben die Experten gewaltverherrlichenden
Filmen (Horrorfilme, Action-Filme), realistischen Darstellungen von Gewalttaten
gegen Menschen und gewaltverherrlichenden Musikvideos zu, während sie die
Darstellung realer Gewalt gegen Menschen (zum Beispiel in Nachrichtensendungen)
und v. a. die realistische Darstellung von Eigentumsdelikten im Rahmen von
Fernsehunterhaltung als eher ungefährlich einstuften.
Insbesondere bei schweren, mit Personenschäden verbundenen Delikten (95
Prozent) und Sexualdelikten (63 Prozent) wurde dem Konsum von Mediengewalt eine
wichtige Rolle zugemessen, während nur relativ wenige Befragte einen Einfluß
der Massenmedien auf politisch motivierte Gewalt (41 Prozent) und
Eigentumsdelikte (25 Prozent) annahmen.
6. Ausblick
Die Thematik Medien und Gewalt wird auch in nächster
Zeit nicht von der Agenda genommen werden. Es sei nur auf die Diskussion um die
Entwicklungen im Internet verwiesen.48 Angesichts von spektakulären Verbrechen,
die scheinbar durch Mediengewalt ausgelöst wurden und in der Öffentlichkeit
immer hohe Beachtung finden, neigen Politiker dazu, das Fernsehen als Sündenbock
aufzubauen und als Hauptverantwortlichen für eine angebliche Verrohung der
Gesellschaft hinzustellen. Mit dieser Fixierung auf die Medien wird zugleich
davon abgelenkt, daß zur Bekämpfung der tatsächlichen Ursachen von Gewalt
(Armut, Arbeitslosigkeit, mangelnde Zukunftsperspektiven und so weiter) womöglich
nicht genügend getan worden ist beziehungsweise mehr getan werden könnte. Dies
ist ein wichtiger Aspekt der Gewaltdiskussion. Auch Fischer, Neumann und Stodiek
sind der Ansicht, die Diskussion entlarve „sich zusehends als politische
Ersatzhandlung für unbestreitbar notwendige Maßnahmen zur Eindämmung
gesellschaftlicher Gewalt.“ Die Autoren fahren fort: „Der Glaube, eine
Gesellschaft durch Schwärzung des Bildschirms zu befriedigen, kann also
bestenfalls als Einfalt, schlimmstenfalls als Ablenkungsmanöver interpretiert
werden.“49 Hierbei erfolgt zudem gerne eine Instrumentalisierung der Forschung
durch die Politik, wie am Beispiel Präsident Clintons und der „National
Television Violence Study“ eingangs aufgezeigt wurde.
Ansonsten aber ist die in der Öffentlichkeit und Politik generell vorhandene
Skepsis gegenüber den Sozialwissenschaften hinsichtlich der Befunde der
Wirkungsforschung besonders ausgeprägt. Es gibt, da ja jeder täglich Umgang
mit den Massenmedien hat, weit verbreitete populärwissenschaftliche
Vorstellungen über die Wirkungen der Massenmedien, zu deren Popularisierung die
Massenmedien selbst entscheidend beitragen. Häufig sieht man sich selbst als überlegenen,
kritisch distanzierten Medienkonsumenten, aber die „anderen“ (die Masse der
Bevölkerung) werden als durch die Massenmedien extrem gefährdet betrachtet.
Die weite Verbreitung laienhafter Vorstellungen über die Medienwirkung bildet
ein ausgesprochen starkes Hindernis für die Akzeptanz wissenschaftlicher
Erkenntnisse. Entsprechen die Resultate einer Studie den Erwartungen, dann wird
dies als Beweis dafür gewertet, daß man ohnehin schon alles weiß und die
Kommunikationswissenschaft nichts Neues zu bieten hat. Sind die Resultate einer
Studie mit diesen Vorstellungen nicht kompatibel, dann werden sie in der Regel
zunächst ignoriert.
So scheint das Denken in simplen Ursache-Wirkungs-Modellen, das in bezug auf die
Wirkungen der Massenmedien sozusagen in die Mottenkiste gehört, unausrottbar.
Hier liegt ein Beispiel für „Do It Yourself Social Science“ (DYSS)50 vor,
wobei als Faustregel gilt: Je simpler eine These aussieht, desto attraktiver und
erfolgreicher ist sie bei Außenstehenden.
Eines der Hauptprobleme der Kommunikationswissenschaft besteht in diesem Kontext
auch darin, den Einfluß populärwissenschaftlicher Vorstellungen (zum Beispiel
auch auf medienpolitische Entscheidungen) zurückzudrängen. Gemeint ist damit
die Traktätchen-Literatur, wie sie etwa von Neil Postman („Das Verschwinden
der Kindheit“, „Wir amüsieren uns zu Tode“) stammt, dessen grandiose Irrtümer
beziehungsweise abstruse Vorstellungen von den Wirkungen der Medien Hertha
Sturm51 so trefflich entlarvt hat. Auch Marie Winn („Die Droge im
Wohnzimmer“) oder Jerry Mander („Schafft das Fernsehen ab“) verdienen Erwähnung.
Diese Werke sind wissenschaftlich nur aus einer Warte interessant: Ihre hohe
Popularität ist ein Indikator für weitverbreitete kollektive Ängste
hinsichtlich möglicher negativer Wirkungen des Fernsehens. Der Erfolg solcher
Publikationen liegt darin begründet, daß einfache, für jedermann leicht
nachvollziehbare, monokausale (wenngleich auch falsche) Erklärungen für die
Problematik der Medienwirkung angeboten werden. Die Logik der vorgebrachten
Ratschläge ist zumeist schlicht: Schafft das Fernsehen ab, und die Welt ist
wieder in Ordnung. In bezug auf die Wirkungen von Gewaltdarstellungen wird
argumentiert: Beseitigt diese Inhalte und die Gesellschaft wird wieder
friedlich. Noch immer trifft der von Peter Glotz52 gegen die
Kommunikationswissenschaft erhobene Vorwurf zu, daß sie im Umgang mit der Öffentlichkeit
unfähig ist. Die seriöse Forschung, so lautet das Argument, gebe sich
versonnen dem Design von interessanten Detailstudien hin und überlasse zugleich
das Feld der öffentlichen Meinung solchen Autoren wie Neil Postman und Marie
Winn.
Ein weiteres wichtiges Problem der Gewalt-in-den-Medien-Forschung besteht darin,
daß die Untersuchungen nach dem immer gleichen Strickmuster erfolgen. Noch
immer werden in ungezählten Laborexperimenten die immer gleichen
Fragestellungen leicht modifiziert und untersucht. Der Erkenntnisfortschritt ist
zumeist minimal. Auch ist es kein Zeichen für einen reifen Zweig der
Wissenschaft, wenn noch immer die Ergebnisse von Leichenzählereien, die oft
euphemistisch als Inhaltsanalyse bezeichnet werden, durchgeführt und diskutiert
werden, obwohl doch spätestens seit den Ende der 20er Jahre durchgeführten
Payne-Fund-Studies bekannt ist, daß man vom Inhalt nicht direkt auf die Wirkung
schließen kann. Unseres Erachtens ist es an der Zeit, nach neuen Ansätzen (wie
zum Beispiel der Expertenbefragung) zu suchen.
Anmerkungen
1 Unter personaler Gewalt (Aggression) wird im
folgenden die beabsichtigte physische und/oder psychische Schädigung einer
Person, von Lebewesen und Sachen durch eine andere Person verstanden.
2 Eine zusammenfassende Diskussion der Medien-und-Gewalt-Forschung gibt: Kunczik,
M.: Medien und Gewalt. Köln/Weimar/Wien, 3. Auflage 1996.
3 Als jüngste Veröffentlichungen sind zu nennen: Felson, R. B.: Mass media
effects on violent behavior. In: Annual Review of Sociology, 22 (1996); Schooler,
S./Flora, J. A.: Pervasive media violence. In: Annual Review of Public Health,
17 (1996); Friedrichsen, M./Vowe, G. (Hrsg.): Gewaltdarstellungen in den Medien.
Opladen 1995; Fischer, H.-D./Niemann, J./Stodiek, O.: 100 Jahre
Medien-Gewalt-Diskussion in Deutschland. Synopse und Bibliographie einer
zyklischen Entrüstung. Frankfurt a. M. 1996; Bundesministerium des Innern
(Hrsg.): Medien und Gewalt. Bonn 1996; Charlton M. (.u. a.): Zugänge zur
Mediengewalt. Untersuchungen zu individuellen Strategien der Rezeption von
Gewaltdarstellungen im frühen Jugendalter. Villingen-Schwenningen 1996;
National Television Violence Study. Vol. 1. Thousand Oaks/London/New Delhi 1997
und Kleiter, E. F.: Film und Aggression – Aggressionspsychologie. Theorie und
empirische Ergebnisse mit einem Beitrag zur Allgemeinen Aggressionspsychologie.
Weinheim 1997.
4 Gegenüber Newsweek äußerte er „I did fight hard for the V-Chip.“ („'I
fouhgt for the V-Chip'. In an exclusive interview, President Clinton talks tube“.
In: Newsweek, March 11, 1996, S. 46).
5 Rede Clintons bei der Unterzeichnung des Gesetzes, abgedruckt in: Information
USA Newsletter, 1, 1996, S. 2 („Clinton calls new telecom act 'truly
revolutionary': Remarks at signing of reform measure“).
6 Vgl. Lueken, V.: Der kleine Schutzengel. Ein Mikrochip soll Amerikas Kinder
vor Fernsehgewalt schützen. In: FAZ, 1. 4. 1996, S. 33.
7 Zitiert in: „Blocking the Box“. In: Newsweek, March 11, 1996 S. 44.
8 Vgl. Lueken, V., a.a.O.
9 „Clinton calls new telecom act 'truly revolutionary': Remarks at signing of
reform measure“, a.a.O., S. 2.
10 Anfang 1996 wurden die Resultate des ersten Jahres der Untersuchung veröffentlicht.
Die wichtigsten Ergebnisse der Inhaltsanalyse sind dabei folgende: 57 Prozent
der Programme enthielten Gewalt, wobei zwei Drittel der Gewalt verhaltensmäßige
Aggression beinhaltete; ein Drittel der Gewalt bestand aus glaubwürdigen
Drohungen. Die Gewalt ausübenden Personen waren überwiegend männliche, weiße
Erwachsene, die eher als schlecht denn als gut charakterisiert wurden und
typischerweise keine „Helden“ waren. Die Gewaltempfänger waren ähnlich
charakterisiert. Die Hauptmotive für Aggression waren persönliche Vorteile,
Wut/Ärger sowie Schutz. Etwa die Hälfte der Gewaltakte wurden als
gerechtfertigt gezeigt. Schußwaffen wurden in einem Viertel der Gewaltakte
eingesetzt. Gewalt wurde überwiegend nicht in „close-up shots“ gezeigt.
Blut und Wunden wurden selten gezeigt. Zur Realitätsnähe der Gewalt wurde
festgehalten: „Very little of TV violence is based on actual events in the
real world, but most events seem fairly realistic in that they could happen in
real life.“ (National Television Violence Study, a.a.O., S. 137). Aus
lerntheoretischer Warte wichtig ist der Befund, daß Gewalt nicht sofort
bestraft wurde, sondern erst am Ende des Programms – und zwar nur für die
schlechten Charaktere. Die „good guys“, die Gewalt ausüben, wurden in der
Regel nicht bestraft. Gewalttätige Protagonisten hatten keine Gewissensbisse.
In ungefähr der Hälfte der Gewaltakte wurde kein Leiden des Opfers gezeigt. In
etwa einem Drittel der violenten Programme wurden keine negativen Konsequenzen
von Gewalt gezeigt. Etwa 40 Prozent der violenten Szenen waren humorvoll.
Lediglich vier Prozent der Programme mit Gewalt enthielten eine starke
Anti-Gewalt-Botschaft.
11 Vgl. den vom Europäischen Parlament in zweiter Lesung gefaßten „Beschluß
betreffend den Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlaß der
Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der
Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und
Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit
(C4-0380/96-95/0074 COD)“ vom 12. 11. 1996 (Dokument A4-0346/96).
12 UNESCO International Clearinghouse on Children and Violence on the Screen at
the Nordic Information Center for Media and Communication Research (Nordicom, Göteborg
University).
13 Vgl. IRIS – Rechtliche Rundschau der europäischen audiovisuellen
Informationsstelle, 3, 1997, Nr. 6, S. 12.
14 Gleichzeitig zu dieser Entwicklung ist hinsichtlich des Schutzes der Kinder
vor Mediengewalt allerdings in Dänemark ein vollkommen entgegengesetzter Trend
zu beobachten. Die dänische Kulturministerin Jytte Hilden schlug im Frühjahr
1996 vor, alle Altersbegrenzungen für Kinofilme ersatzlos abzuschaffen. Ihre
Forderung begründete sie damit, daß die dänischen Eltern so hoch gebildet und
vernünftig seien, daß sie wüßten, was sie ihren Kindern zumuten könnten. Außerdem
hielten sich die Kinder aus eigenem Antrieb von allzu brutalen oder
pornographischen Filmen fern. Vgl. Schümer, D.: Kinder vor Kettensägen. Dänemark
will die Altersbegrenzung im Kino abschaffen. In: FAZ, 14. 5. 1996. Der
Verfasser bezeichnet als unausgesprochenes Hauptargument für die
Liberalisierung die Tatsache, daß Videofilme den Kindern die Möglichkeit
geben, zu Hause das zu schauen, was im Kino verboten ist.
15 Vgl. DFG – Deutsche Forschungsgemeinschaft: Medienwirkungsforschung in der
Bundesrepublik Deutschland. Weinheim 1986.
16 Vgl. Kunczik, M.: Medien und Gewalt, a.a.O., S. 136 f.
17 Vgl. Fröhlich, W./Kunczik, M./Vossel, G./Bleh, W./Streit, R.: Habituation an
Mediengewalt – Eine Meta-Analyse, Unv. Forschungsbericht, Mainz 1993.
18 Vgl. Paik, H./Comstock, G.: The effects of television violence on antisocial
behavior: A meta-analysis. In: Communication Research, 21 (1994).
19 Eine detailierte Darstellung und Diskussion der Methode der Meta-Analyse
sowie der Unterscheidung in deskriptive und inferenzstatistische Methoden der
Meta-Analyse findet sich in: Fröhlich, W. (u. a.), a.a.O.
20 Zur Kritik vgl. Kunczik, M.: Medien und Gewalt, a.a.O., S. 67 – 70.
21 Zur Kritik vgl. ebenda, S. 89.
22 Zur Kritik vgl. ebenda, S. 113 – 116.
23 Vgl. Friedrichsen, M./Jenzowsky, S.: Methoden und Methodologie: Ein Vergleich
ausgewählter Studien der 90er Jahre zur Gewalt in den Medien. In: Friedrichsen,
M./Vowe, G. (Hrsg.), a.a.O.
24 Vgl. Centerwall, B. S.: Television and violence. The scale of the problem and
where to go from here. In: Journal of the American Medical Association 267, 22
(1992).
25 Zu einem ausführlicheren Überblick über die Thesen der
Medien-und-Gewalt-Forschung und zu weiteren Thesen vgl. Kunczik, M.: Gewalt und
Medien, a.a.O.
26 Feshbach, S.: Fernsehen und antisoziales Verhalten. Perspektiven für
Forschung und Gesellschaft. In: Groebel, J./Winterhoff-Spurk, P. (Hrsg.):
Empirische Medienpsychologie. München 1989, S. 71.
27 Grimm, J.: Das Verhältnis von Medien und Gewalt – oder welchen Einfluß
hat das Fernsehen auf Jugendliche und Erwachsene? In: Bundesminister des Innern
(Hrsg.): Medien und Gewalt. Bonn 1996.
28 Vgl. Belson, W. A.: Television violence and the adolescent boy. Westmead
1978.
29 Vgl. Fröhlich, W. (u. a.), a.a.O.
30 Glogauer, W.: Auswirkungen von Gewalt, sexuellen Darstellungen und
Pornographie in den Medien auf Kinder und Jugendliche. In: Der Bundesminister
des Innern (Hrsg.): Medien und Gewalt. Bonn 1996, S. 160.
31 Grimm, J., a.a.O., S. 142.
32 Vgl. Phillips, D. P.: The influences of suggestion on suicide: substantive
and theoretical implications of the Werther effect. In: American Sociological
Review 39 (1974).
33 Vgl. ders.: The impact off fictional television stories on U. S. adult
fatalities: New evidence on the effect of the mass media on violence. In:
American Journal of Sociology, 87 (1982).
34 Vgl. Kessler, R. C./Stipp, H. H.: The impact of fictional television stories
on U. S. adult fatalities: A replication. In: American Journal of Sociology, 90
(1984).
35 Vgl. dazu auch Abschnitt 5 dieses Beitrags.
36 Vgl. Kaplan, R. M./Singer, R. D.: Television violence and viewer aggression.
In: Journal of Social Issues, 32 (1976).
37 Vgl. Bandura, A.: Aggression. Eine sozial-lerntheoretische Analyse. Stuttgart
1979; zuerst 1973 und ders.: Sozial-kognitive Lerntheorie, Stuttgart 1979;
zuerst 1973.
38 Vgl. Slife, B. D./Rychlak, J. F.: Role of affective assessment in modeling
aggressive behavior. In: Journal of Personality and Social Psychology, 43
(1982).
39 Vgl. Früh, W.: Die Rezeption von Fernsehgewalt. In: Media Perspektiven, Heft
4, 1995, S. 172.
40 Charlton, M./Borcsa, M./Mayer, G./Haaf, B./Kleis, G.: Zugänge zur
Mediengewalt. Untersuchungen zu individuellen Strategien der Rezeption von
Gewaltdarstellungen im frühen Jugendalter. Villingen-Schwenningen 1996.
41 Vgl. zum Beispiel Groebel, J.: Mediengewalt: Sich ändernde Perspektiven –
neue Fragestellungen. in: Schorb, B. (u. a.) (Hrsg.): Gewalt im Fernsehen –
Gewalt des Fernsehens? Sindelfingen 1984.
42 Vgl. Kleiter, E. F., a.a.O. Kleiter hat für seine Untersuchung 2 305 Grund-,
Haupt- und Realschüler in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern
befragt.
43 Ebd., S. 449.
44 Aus den Äußerungen und Einschätzungen der befragten Psychologen und
Psychiater kann natürlich kein Kausalzusammenhang bezüglich der Wirkungen von
Mediengewalt auf junge Menschen konstruiert werden. Es handelt sich ja nicht um
„objektives“ Datenmaterial, sondern um subjektive Meinungen zu sehr
komplexen Sachverhalten, die durch die Einstellungen der Befragten, ihre Einschätzung
des Problems aufgrund ihrer Ausbildung und so weiter beeinflußt werden können.
Es war jedoch zu erwarten, daß die Experten aufgrund ihrer Erfahrungen aus
„erster Hand“ wichtige Aspekte in die Diskussion um die Folgen von
Mediengewalt einbringen können.
45 Vgl. zum folgenden Kunczik, M./Bleh, W./Maritzen, S.: Audiovisuelle Gewalt
und ihre Auswirkung auf Kinder und Jugendliche. Eine schriftliche Befragung
klinischer Psychologen und Psychiater. In: Medienpsychologie, 5 (1993).
46 Bei der Bewertung dieses Ergebnisses ist allerdings zu berücksichtigen, daß
familiäre Probleme beziehungsweise Familientherapien zu den
Hauptaufgabengebieten der Beratungsstellen und der niedergelassenen Psychiater
gehören. Kinder aus intakten Familien dürften daher in der Klientel unterrepräsentiert
sein.
47 Vgl. Kunczik, M./Bleh, W./Zipfel, A.: Gewalt und Medien. Eine
Expertenbefragung bei Richtern und Staatsanwälten. Unv. Forschungsbericht,
Mainz 1995.
48 Im August 1996 rief zum Beispiel eine im Internet abrufbare Bildserie, die
die Zerstückelung eines Ermordeten detailliert zeigte, intensive Diskussionen
hervor (vgl. „Mordbilder im Internet. Polizei machtlos gegen grausame
Photoserie aus den USA“. In: Süddeutsche Zeitung, 14./15. 8. 1996, S. 10).
49 Vgl. Fischer, H.-D./Niemann, J./Stodiek, O., a.a.O., S. 280.
50 Vgl. Heller, F. (Hrsg.): The use and abuse of social science. London 1986.
51 Vgl. Sturm, H.: Die grandiosen Irrtümer des Neil Postman. Fernsehen wirkt
anders. In: Kunczik, M./Weber, U. (Hrsg.): Fernsehen. Aspekte eines Mediums. Köln
1990.
52 Glotz, P.: Das Spannungsfeld Wissenschaft – Politik – Medien. In: Roß,
D./Wilke, J. (Hrsg.): Umbruch in der Medienlandschaft. München 1991, S. 22.