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Was sind Verbände?
Ulrich von Alemann
Einführung
Der Wecker klingelt. V. Erband wacht auf. Er geht ins
Badezimmer, um sich zu waschen und die Zähne zu putzen, und freut sich über die
neue Sanitärausstattung. Das Wasser ist 'mal wieder viel zu kalt! Er zieht sich
an und überlegt dabei, ob seine leichte Bekleidung wohl ausreichen wird. Beim
Frühstück genießt er Fruchtsaft und ein frisches Brötchen. Er schlägt die
Zeitung auf und wirft einen Blick auf die Überschriften: "Streik in der
Metallindustrie! Greenpeace besetzt Mülldeponien! Rotes Kreuz sucht Blutkonserven!
Bauernverband fordert Entschädigungen wegen Frost!"
Nachdenklich schlägt Herr V. Erband die Zeitung wieder zu. Verbände allerorten:
Sie fordern, schlagen vor, mahnen, informieren, schützen, drohen, besetzen,
versprechen, beeinflussen, unterstützen, klagen oder begrüßen. Sie begleiten
uns von der Geburt (Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe) bis
zum Friedhof (Bund deutscher Friedhofsgärtner), bei der Arbeit und in der
Freizeit, von der Gemeinde bis zur UNO, von morgens bis abends: beim Aufstehen,
Waschen, Ankleiden, Frühstücken, während der Fahrt zum Dienst, am Arbeitsplatz,
in der Familie, bei Hobby und Spiel, bei Weiterbildung und Urlaub. Fast alles
ist organisiert und verbandlich abgestützt.
Wir leben in einer organisierten Gesellschaft, ohne dabei immer darauf zu
achten, daß wir ständig von Verbänden umgeben sind. Es wird einem jedoch
schnell bewußt, wenn man sich bei der Zeitungslektüre oder den
Fernsehnachrichten, am Arbeitsplatz oder beim Einkaufen, in der Freizeit oder
in der Familie nicht nur fragt, welche Verbände oft genannt werden, sondern
auch überlegt, ob es irgendeinen Bereich oder eine private Tätigkeit gibt, um
die sich kein Verband kümmert. Die Prognose sei gewagt, daß es schwer sein
dürfte, fündig zu werden.
Wer zählt die Verbände, nennt die Namen, könnte man - in Abwandlung eines
Zitats von Friedrich Schiller - sagen angesichts der Begriffsvielfalt. Neben
Interessenverbänden und -vereinigungen finden sich Interessengruppen,
Interessenorganisationen oder organisierte Interessen, Lobby (abgeleitet von
der Lobby, der Eingangshalle der Parlamente, wo Interessenvertreter versuchen,
Abgeordnete zu beeinflussen) und Pressure-groups (Druck ausübende Gruppen).
Schaut man sich einmal die Namen an, die sich die Verbände selbst gegeben
haben, wird die Vielfalt noch größer. Ein Blick in die "Lobbyliste"
des Deutschen Bundestages zeigt das ganze ABC von der Aktion, der
Arbeitsgemeinschaft und dem Arbeitskreis über den Bund und den Bundesverband,
den Club oder den Convent, den Dachverband, den Fachverband, den Förderkreis,
das Forum weiter zu den Gewerkschaften, Gesellschaften und dem Gesamtverband
der Hauptarbeitsgemeinschaft und dem Hauptverband bis hin zum Zweckverband
organischer und mineralischer Düngemittel e.V.
Verbände sind Organisationen
Um angesichts der Vielfalt der Verbände eine Übersicht zu
schaffen, beginnen wir mit der Feststellung, daß es sich bei Verbänden um
Organisationen handelt. Organisationen sind noch viel allgegenwärtiger als
Verbände, denn jede Verwaltung, jedes Krankenhaus, jede Firma, Schule oder
Armee, jeder Konzern oder jede Kirche ist eine Organisation. Der Soziologe
Günter Büschges hat das plastisch formuliert: "In Organisationen oder in
engem Kontakt mit ihnen verbringt der einzelne als Mitglied, Klient oder Kunde
oder in anderer Weise Betroffene einen wesentlichen Teil seines Lebens. In
Organisationen wird er geboren, erzogen, gebildet und ausgebildet, verwahrt und
umerzogen. Von Organisationen wird er versorgt, betreut, gestützt und
kontrolliert. In Organisationen übt er seinen Beruf aus und geht er seiner
Arbeit nach, verdient er seinen Lebensunterhalt und macht er Karriere - oder
auch nicht. In Organisationen erfährt er aber auch, was Kooperation und
Konflikt, was Status und Prestige, was Herrschaft und Abhängigke, was Fremd-
und Selbstbestimmung, was Schicht- und Klassenzugehörigkeit bedeuten."
Jede Organisation ist eine arbeitsteilig aufgebaute Ordnung von Gruppen und
Personen, die gemeinsam, freiwillig (oder auch nicht, denn auch Gefängnisse sind
Organisationen) bestimmte Zwecke oder Ziele verfolgen. Meistens besitzen
Organisationen ein Regelwerk - Satzung, Verfassung oder Statut - und ein
Programm mit ihren Zielen und Grundsätzen. Freundesgruppen, Käufergruppen,
Zuschauermassen und politische Demonstrationen sind demnach keine
Organisationen, denn sie sind sozusagen naturwüchsig oder auch spontan
entstanden ohne eine dauerhaft verbindliche Form.
Teil des dritten Sektors
In der jüngeren
sozialwissenschaftlichen Forschung wird die Gesamtheit aller Organisationen
wie ein Kuchen in drei Sektoren eingeteilt. "Erster Sektor" wird
der Staat genannt, das heißt alle staatlichen Institutionen, wenn sie
hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Dies sind beispielsweise Parlamente, Regierungen,
Verwaltungen, Justiz, aber auch alle anderen öffentlichen Einrichtungen, wie
Schulen, Theater oder Museen. Als "Zweiter Sektor" wird der Markt
bezeichnet, das heißt alle Organisationsformen, die wirtschaftlichen und
Erwerbszwecken dienen wie Konzerne, Unternehmen, Firmen oder sonstige
kommerzielle Veranstaltungen.
Dann bleibt das übrig, was "Dritter Sektor" genannt wird: Der
Bereich zwischen Markt und Staat, in dem es weder in erster Linie um Gewinn
und Konkurrenz noch um hoheitliche Verwaltung geht. Der "Dritte
Sektor" bezeichnet das weite Feld der Vereinigungen, Gesellschaften,
Vereine und Verbände. Die meisten Vereinigungen im "Dritten Sektor"
sind "Non-Profit-Organisationen" (NPO). Sie sind nicht am Gewinn orientiert
im Gegensatz zu den am Markt orientierten Unternehmen. Und sie gehören zu den
"Nicht-Regierungs-Organisationen" (NRO, engl. NGO:
Non-Governmental-Organizations), die heute national und international eine
immer wichtigere politische Rolle spielen (zum Beispiel Greenpeace, amnesty
international oder World Wildlife Fund). Auf den großen UNO-Konferenzen der
neunziger Jahre zur Umwelt in Rio, zu Sozialfragen in Kopenhagen oder zur
Frauenpolitik in Peking waren deshalb Verbände aus dem Bereich der
"NRO" prominent vertreten.
Der gesamte Bereich des "Dritten Sektors" umfaßt aber noch mehr als
die eigentlichen Interessenverbände, die uns hauptsächlich interessieren.
Verwandte Organisationsformen, weil sich Aufgaben und Arbeitsweise teilweise
überschneiden, sind etwa Parteien, die Vereine, Kammern und Kirchen.
Um Unterschiede zwischen diesen Organisationen klarzustellen und das
Besondere der Interessenverbände hervorzuheben, ist es notwendig, zunächst
einen Blick auf die rechtliche Stellung der Verbände zu werfen.
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Gesetzliche Bestimmungen
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Die Worte "Verbände" oder
"Interessengruppen" kommen im Grundgesetz (GG) nicht vor, statt
dessen spricht es im einschlägigen Artikel 9 von "Vereinen",
"Gesellschaften" und "Vereinigungen". Vereinigung ist
rechtlich der Oberbegriff. Der Artikel 9 des Grundgesetzes lautet:
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.
(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen
zuwider laufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen
den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.
(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen
Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.
[...]
Artikel 9 Absatz 1 enthält das Grundrecht der allgemeinen
Vereinigungsfreiheit. Sie umfaßt die Gründungsfreiheit sowie die Freiheit des
Bei- und Austritts sowie das Recht, Satzungen zu erlassen.
Nach dem Vereinsgesetz ist unter einem Verein ohne Rücksicht auf die
Rechtsform jede Vereinigung zu verstehen, zu der sich eine Anzahl von
Einzelpersonen oder Personengruppen (juristische Personen) für längere Zeit
zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer
organisierten Willensbildung unterworfen haben. Neben den Vereinen sind in
Absatz 1 auch Gesellschaften genannt um klarzustellen, daß auch
Gesellschaften des bürgerlichen und des Handelsrechts (OHG, KG, GmbH, AG) den
Schutz des Grundrechts der allgemeinen Vereinigungsfreiheit genießen.
In Absatz 2 ist bestimmt, daß Vereinigungen verboten sind, die gegen
Strafgesetze, Verfassung oder Völkerverständigung verstoßen. Das Grundrecht
der Vereinigungsfreiheit steht nur Deutschen zu. Es ist also folglich kein
Menschen-, sondern ein Bürgerrecht.
Von der Vereinigungsfreiheit zu unterscheiden ist die in Artikel 9 Absatz 3
GG geregelte Koalitionsfreiheit. Sie gewährleistet "jedermann",
also nicht nur allen Deutschen, "das Recht, zur Wahrung und Förderung
von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden". Dieses
Recht gilt "für alle Berufe". Weiter heißt es: "Abreden, die
dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf
gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. [...]." Die Koalitionsfreiheit
bezieht sich vor allem auf die Gründung und den Bestand von Organisationen,
die auf die kollektive Gestaltung des Arbeits- und Wirtschaftslebens
gerichtet sind. Geschützt werden daher insbesondere die Gewerkschaften und
die Arbeitgeberverbände. Ebenso geschützt wird die ihnen zustehende
Tarifautonomie. Darunter ist das Recht dieser Organisationen zu verstehen,
ohne staatliche Einmischung die Lohn- und Arbeitsbedingungen in Tarifverträgen
festzulegen. Auf die Ausprägungen der Koalitionsfreiheit wird noch einmal
näher bei der Darstellung der Vereinigungen des Arbeits- und
Wirtschaftslebens eingegangen.
Für politische Parteien gilt die Sonderregelung des Artikel 21. Danach wirken
sie bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Das bedeutet
zweierlei: Zum einen werden die Parteien herausgehoben als die einzigen
besonders erwähnten Organisationen der politischen Willensbildung; zum andern
wird dies gleichzeitig wieder etwas abgeschwächt, weil das Grundgesetz eben
nur von Mit-Wirkung spricht. Auf diese Rolle als ungenannte weitere Mitwirker
an der politischen Willensbildung können sich die Interessenverbände berufen,
wenn sie die Politik zu beeinflussen versuchen (zur besonderen Situation der
Parteien vgl. "Informationen zur politischen Bildung" Nr. 207 zum
Thema "Parteiendemokratie").
Eine weitere Gruppe von Vereinigungen, die im Grundgesetz Erwähnung findet,
sind die Kirchen. Dazu verweist das Grundgesetz in Artikel 140 auf das
Weitergelten von Artikeln der Weimarer Reichsverfassung, wo beispielsweise
dort in Artikel 137 zu Religionsgesellschaften steht:
[...] (2) "Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird
gewährleistet [...]
(3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten
selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. [...]
(7) Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die
sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe
machen."
Die Kirchen, die damals "Religionsgesellschaften" genannt wurden,
werden also durch die Übernahme der Weimarer Regelung besonders
hervorgehoben, allerdings auch mit Vereinigungen gleichgestellt, die
gemeinschaftlich eine Weltanschauung pflegen wollen.
Im Grundgesetz ist auch Artikel 19, Absatz 3 bedeutsam, nach dem die
Grundrechte auch für "inländische juristische Personen" gelten
können, damit sind auch Verbände eingeschlossen. Sie können also Träger von
Grundrechten sein und beispielsweise den Gleichheitsgrundsatz oder die
Meinungsfreiheit beanspruchen wie jede einzelne Person.
Die Verbände kennen zwar keine den Parteien vergleichbare gesetzliche
Verbändefinanzierung, sie kommen aber ebenfalls in den Genuß staatlicher
direkter und indirekter Zuwendungen. Wenn die Gemeinnützigkeit von Verbänden
anerkannt wurde, was bei den meisten Vereinigungen aus dem Sozial-, Kultur-
und Gesellschaftsbereich der Fall ist, dann kann nahezu unbegrenzt
steuerabsetzungsfähig gespendet werden - im Gegensatz zu den Parteien, wo der
Abzugsfähigkeit von Spenden, die ab einer bestimmten Größe auch namentlich
veröffentlicht werden, enge Grenzen gesetzt sind. Obwohl in den siebziger
Jahren wiederholt ein Verbändegesetz - insbesondere aus den Reihen der FDP
und Teilen der CDU/CSU - gefordert wurde, um die Rechte der Verbände ähnlich
klar zu regeln, wie die der Parteien, ist es nicht dazu gekommen. Alle
Verbände waren sich in ihrer Ablehnung eines solchen Gesetzes einig, von dem
sie eine Einschränkung ihrer Freiheit befürchteten.
Bürgerliches Gesetzbuch
Das eigentliche Recht der Vereinigungen ist nicht im Grundgesetz und auch
nicht in einem Verbändegesetz, sondern im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
geregelt. Der übergreifende Rechtsbegriff ist dort der Verein, der auch Verbände
mit umfaßt. Das kann manchmal etwas verwirren, weil es sowohl im alltäglichen
Sprachgebrauch als auch im Verständnis der Sozialwissenschaften nahezu
umgekehrt ist: dort ist der Verein die kleine lokale Einheit, zum Beispiel
der Schützenverein, während der Verband eher übergreifend ist, zum Beispiel
der bundesweite Schützenverband.
Das BGB enthält in seinem vereinsrechtlichen Teil in den §§ 21 bis 79 eine
Reihe von Vorschriften zu Aufbau, Gliederung und Mitgliederrechten. So wird
beispielsweise in § 26 vorgeschrieben, daß der Verein einen Vorstand haben
muß, der nach § 27 durch Beschluß der Mitgliederversammlung, also der
demokratischen Basis, eingesetzt wird. § 32 sieht für die Beschlußfassung die
Mehrheit der Mitgliederversammlung vor; Satzungsänderungen verlangen die
Zustimmung von einer Dreiviertelmehrheit; zur Änderung des Vereinszwecks
müssen alle Mitglieder zustimmen. § 37 schützt die Minderheit, da bereits ein
Zehntel der Mitglieder die Einberufung einer Mitgliederversammlung verlangen
kann.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch gibt es also bestimmte Anforderungen, die
der demokratischen Basis von Vereinen und Verbänden wichtige Rechte
einräumen. Allerdings stellt das BGB nur gewisse Mindestanforderungen auf.
Darüber hinaus hat ein Verein im Rahmen der Vertragsfreiheit
Gestaltungsspielraum. Nach § 40 finden daher bestimmte Vorschriften
"insoweit keine Anwendung, als die Satzung ein anderes bestimmt".
So hilft das BGB, das ursprünglich in Zeiten des bürgerlichen
Geselligkeitsvereins von 1896 geschrieben worden war, bei der Organisierung
komplizierter innerverbandlicher Willensbildung bei Großverbänden mit
Millionen Mitgliedern heute nicht viel weiter. Andererseits hat sich aber das
Vereinsrecht als ein so flexibler Rahmen erwiesen, daß eine grundlegende
Änderung bisher nicht notwendig erschien.
Das BGB hilft durch die Bereitstellung einer klaren Rechtsform für
Vereinigungen und damit auch Verbände in Form des "eingetragenen
Vereins" (e.V.). Man benötigt nur sieben Gleichgesinnte, eine Satzung,
die den Zweck des Vereins enthalten muß, und ein Programm, um beim
Amtsgericht gegen geringe Gebühren einen neuen Verein eintragen zu lassen.
Der Unterschied zwischen nicht eingetragenen und eingetragenen Vereinen
besteht im wesentlichen in der rechtlichen Haftung, die sich beim nicht
eingetragenen Verein nicht nur auf das Vereinsvermögen, sondern auch auf das
Privatvermögen der für den Verein Handelnden erstrecken kann. Der Vorstand
eines eingetragenen Vereines haftet umgekehrt nicht mit seinem Privatvermögen
für mögliche Schulden des Verbandes. Der Verein wird mit der Eintragung als
ein Zusammenschluß von "natürlichen Personen" zu einer
"juristischen Person".
Verbände haben also in der Regel die Rechtsform des eingetragenen
Vereins. Ausnahmen von dieser Regel bilden die Gewerkschaften,
weil sie sich dem Polizeirecht unter dem alten Bürgerlichen Gesetzbuch der
Jahrhundertwende nicht unterwerfen wollten. Obwohl dieser Grund mittlerweile
entfallen ist - das Vereinsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches ist längst liberalisiert
worden - halten die Gewerkschaften aus diesen historischen Gründen daran
fest, sich nicht als Verein eintragen zu lassen.
Zusammenfassend kann man sagen, daß Interessenverbände
sozialwissenschaftlich betrachtet zu den Organisationen und zum "Dritten
Sektor" der Assoziationen gehören; juristisch betrachtet gehören sie zu
den Vereinen.
All diese Vereinigungen zeichnen sich durch freiwillige Mitgliedschaft, eine
formale Regelung der Organisationsform und der Willensbildung - meist durch
Statut oder Satzung - und programmatisch festgelegte Ziele aus. Das Besondere
an Interessenverbänden unter allen anderen Vereinigungen ist die Vertretung
von materiellen oder ideellen Interessen ihrer Mitglieder nach außen sowohl
gegenüber dem Staat - wie beispielsweise die Bauernverbände, wenn sie
Subventionen fordern - als auch gegenüber anderen Interessengruppen - wie
beispielsweise die beiden Tarifparteien von Kapital und Arbeit, also
Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, wenn Tarifauseinandersetzungen geführt
werden. Die Begriffe Interessenverbände, Verbände und Interessengruppen
werden in diesem Text gleichbedeutend benutzt und austauschbar variiert.
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Abgrenzung
Der gesamte Bereich des "Dritten
Sektors" bzw. der juristischen "Vereinigungen" umfaßt mehr als
nur die Verbände. Einige Organisationen aus
dieser Gruppe sollen kurz angesprochen werden, entweder, weil sie mit den
Verbänden konkurrieren, sich mit ihnen überschneiden oder Sonderformen
darstellen, die nicht alle Kriterien für die Definition von Interessengruppen
erfüllen. Gemeint sind etwa Parteien, Kirchen oder Kammern. Durch die
Abgrenzung dieser Vereinigungen, die teilweise in den Medien und im Alltag
geläufiger sind als die Verbände, kann auch das Besondere der Interessengruppen
deutlicher herausgearbeitet werden.
Da sind zum einen die politischen Parteien, die auch gesellschaftliche
Interessen vertreten und insofern mit den Interessengruppen eng verwandt sind.
Historisch gingen beide, Parteien und Verbände, aus der bürgerlichen Gesellschaft
des vorigen Jahrhunderts hervor. Beide entstanden fast gleichzeitig.
Beispielsweise waren in der frühen Arbeiterbewegung Sozialdemokratie und
Gewerkschaften eng miteinander verbunden. Sie arbeiteten zusammen, aber sie
konkurrierten auch miteinander darum, wer denn "die reine Lehre"
verkörperte. Auch im Katholizismus gab es enge Bindungen zwischen der
Zentrumspartei und den katholischen Verbänden.
Auch in den letzten 50 Jahren waren Beziehungen zwischen Parteien und Verbänden
von einigen Überschneidungen geprägt. Das galt für die unmittelbare
Nachkriegszeit, in der der Gesamtdeutsche Block/Block der Heimatvertriebenen
und Entrechteten (BHE) als eine Interessenpartei der Vertriebenen kandidierte,
ebenso wie für die jüngere Zeit, als die "Grünen" sich zunächst als
eine Bewegung des Umweltschutzes gründeten. Der programmatische und der
organisatorische Unterschied solcher Interessenparteien zu Interessenverbänden
ist sehr gering. Andererseits bleibt eine große politische und
verfassungstheoretische Kluft zwischen Verbänden und Parteien bestehen: nur
Parteien stellen Kandidaten für öffentliche Wahlämter auf, und nur sie werden
durch den Artikel 21 des Grundgesetzes hervorgehoben.
Während Verbände juristisch gesehen in der Regel die Rechtsform eines Vereins
haben, wird im Gegensatz dazu aus sozialwissenschaftlicher Sicht zwischen
Vereinen und Verbänden unterschieden.
Die Organisationsforschung geht davon aus, daß Vereine wie Sport-, Gesangs-,
Wandervereine oder Kegelclubs ihre Mitglieder primär für eine gemeinsame
Betätigung auf meist lokaler Ebene organisieren. Sie treten nur ausnahmsweise,
wenn es um öffentliche Zuschüsse, Zuweisung von Gelände für Sportanlagen oder
ähnliches geht, auch als Interessengruppe nach außen in Erscheinung.
Verbände können dagegen nicht nur Zusammenschlüsse von Einzelpersonen (also im
juristischen Sinne "natürlichen Personen"), sondern auch von kleinen
Vereinen und damit Unterverbänden (rechtlich also von "juristischen
Personen") sein. Sie dienen primär der Interessenvertretung ihrer
Mitglieder (oder ihre Mitglieder-Verbände) nach außen (beispielsweise der
Deutsche Fußballbund - DFB - für die kleinen Sportvereine oder der Bund
Deutscher Philatelisten e.V. für die Briefmarkensammler).
Abgrenzen muß man Interessenverbände auch von Bürgerinitiativen,
Selbsthilfegruppen und lokalen Initiativen oder Projekten. Nach ursprünglicher
Scheu, sich rechtlich zu binden, haben auch diese Gruppen aus dem großen
Bereich der neuen sozialen Bewegungen oft die Rechtsform des eingetragenen
Vereins gewählt. Zu Interessenverbänden werden sie dann, wenn sie sich zu
regional übergreifenden Verbindungen oder Dachverbänden zusammenschließen, wie
beispielsweise der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU).