< zurück zur Startseite >

 

 

Theorie:  Beobachtung

 

1.0 Einführung

 

Eine Beobachtung ist das systematische Erfassen, Festhalten und Deuten sinnlich wahrnehmbaren Verhaltens zum Zeitpunkt seines Geschehens.[1]

 

Den Unterschied zur alltäglichen Beobachtung erklärt er folgendermaßen: ,,Während alltägliches Beobachten der Orientierung der Akteure in der Welt dient, ist das Ziel der wissenschaftlichen Beobachtung die Beschreibung bzw. Rekonstruktion sozialer Wirklichkeit vor dem Hintergrund einer leitenden Forschungsfrage."[2]

 

Weitere Unterschiede sind die Anwendung systematischer Verfahrensweisen, während die alltägliche Beobachtung eher unreflekiert abläuft. Ziel der wissenschaftlichen Beobachtung ist es weiterhin, ihre Ergebnisse einer wissenschaftlichen Diskussion zu unterziehen.[3]

 

Durch die Beobachtung kann gegenwärtiges Verhalten festgehalten werden, was den Vorzug dieses Verfahrens ausmacht.[4]

 

So gibt es bei der Befragung die Problematik, daß der Befragte nur eine Antwort bezüglich eines möglichen Verhaltens oder eines Verhaltens in der Vergangenheit gibt, die zudem subjektiv verarbeitet und interpretiert und somit verfälscht ist. Bei der Beobachtung hingegen wird festgehalten, wie der Beobachtete sich tatsächlich verhält.[5]

 

Es wird in der Beobachtung also ein real  existierendes Verhalten registriert. Im Gegensatz zur Befragung, bei der erlebtes soziales Verhalten festgehalten wird, befaßt sich die Beobachtung mit effektiv sozialem Verhalten.[6]

 

Jürgen Friedrichs allerdings weist auf die verhältnismäßig seltene Anwendung der Beobachtung in der Soziologie hin. Grund hierfür ist, ,,daß die Beobachtung Hypothesen über das Verhalten von Individuen verlangt, zu denen dann Analysen und Prognosen nötig sind. In den Hypothesen sind Variablen  enthalten, deren Messung anhand der Kategorien des Forschers erfolgt, er interpretiert Bewegung,

räumliche Distanz und Interaktionen."[7]

 

Folglich steht die Interpretation des Betroffenen der des Akteurs

gegenüber.

 

1.1 Geschichte der Beobachtung

 

Die Beobachtung als Methode der Sozialwissenschaft hat eine relativ kurze Geschichte. Vorgänger aus dem 18. Jahrhundert waren systematische Erhebungen zu Haushaltsbudgets und Lebenslagen ärmerer  Bevölkerungsschichten, durchgeführt von entweder staatlichen Fabrikinspektoren wie in England oder von sozialreformerischen Kräften. Als Beispiel für letzeres kann Friedrich Engels Studie ,,Zur Lage der arbeitenden Klasse in England" gelten.

 

Durch den Kolonialismus im 19. Jahrhundert kam die Methode der teilnehmenden Beobachtung und der Feldstudien auch in der Ethnologie auf.

Wirkliche Anerkennung als sozialwissenschaftliche Methode erlangte die Beobachtung - hier mit ihrer  Ausprägung der qualitativ-teilnehmenden Variante (siehe Kap. 1.4 - Quantitative vs. Qualitative Beobachtung und Kap. 2.2 - Teilnehmende/ nicht-teilnehmende Beobachtung) - aber erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Studien der soziologischen Abteilung der Universität von Chicago, der ,,Chicagoer Schule". Untersuchungsgegenstand war hier der soziale Wandel und die Großstadt, die empirisch erforscht wurden. Auch die als ,,Street Corner Society" bekannt gewordene Untersuchung, auf die in Kap. 3.2 näher eingegangen wird, wurde von dieser Schule angeregt.

 

In den 40er und 50er Jahren kristallisierte sich in der US-amerikanischen Sozialforschung ein Vorzug für   die quantitativ orientierte Beobachtung heraus, so daß sich die Beobachtungen dieser Zeit durch hoch strukturierte und standardisierte Verfahren auszeichnete.

 

Erst seit Beginn der 80er Jahre mißt man der qualitativ orientierten Beobachtung wieder mehr Bedeutung bei.[8]

 

 

 

1.2 Möglichkeiten und Grenzen der Beobachtung

 

,,Der größte Gewinn der Beobachtungsverfahren liegt vielleicht darin, daß sie es erlauben, ein Verhalten dann festzuhalten, wenn es sich ereignet", schreiben Claire Sellitz, Marie Jahoda, Morton Deutsch und Stuart W. Cook.[9]

Damit hängt auch der Vorteil der Beobachtung gegenüber anderen Methoden der Datenerhebung - wie z.B. die Befragung - zusammen, daß die Fähigkeiten und die Bereitwilligkeit der betreffenden Personen und Gruppen nur eine untergeordnete Rolle spielen.

 

Bestimmte Bereiche entziehen sich allerdings der unmittelbaren Beobachtung. Während Personen zwar Auskunft über ihr Geschlechtsleben geben, läßt sich jedoch ihr Verhalten in aller Regel nicht beobachten.

Eine weitere Einschränkung der Möglichkeiten einer Befragung ist die zeitliche. Zum einen muß ein Verhalten erst eintreffen, bevor es beobachtet werden kann, was speziell bei der nicht-teilnehmenden Feldbeobachtung (siehe Kap. 2.1 Feldbeobachtung/Laborbeobachtung und Kap. 2.2. Teilnehmende/nicht-teilnehmende Beobachtung) als langwierig erweisen könnte.

 

Als ein Beispiel wäre hier das Interesse eines Forschers am Verhalten der Menschen während eines Vulkanausbruchs zu nennen. Hierbei muß nicht nur der Vulkan ausbrechen, sondern der Forscher auch anwesend sein, um die Beobachtung durchzuführen. In diesem Falle wäre eine Datenermittlung durch eine Befragung wahrscheinlich sinnvoller.

 

 

 

1.3 Quantitative vs. qualitative Beobachtung

 

In der Sozialforschung besteht ein Unterschied zwischen einer quantitativen und einer qualitativen Konzeption, und daher auch eine Differenz zwischen quantitativ bzw. qualitativ orientierten  Beobachtungsstudien. Die quantitative Beobachtung begreift die soziale Realität als objektiv und mit kontrollierten Methoden erfaßbar. In erster Linie geht es um die Erfassung von Daten, die zur Überprüfung von Theorien und Hypothesen dienen. Einzige Kriterien sind die Reliabilität und Validität dieser Daten (siehe Kap. 4 - Fehlerquellen), denen man mit der Erhebung großer Fallzahlen und der personellen Trennung von Forscher und Beobachter Genüge zu tun versucht. Atteslander kritisiert die quantitative Methode, da sie von einem `Primat der Methode' gekennzeichnet ist, d.h., die Beschäftigung mit der Methode überlagert den eigentlichen Gegenstand.[10]

 

Außerdem weist er bei dieser Art der Beobachtung durch Standardisierung und Quantifizierung auf die Gefahr der Scheinobjektivität hin.[11]

Demgegenüber steht die qualitativ orientierte Beobachtung. Diese ist gekennzeichnet durch ,,die Annahme, daß soziale Akteure Objekten Bedeutungen zuschreiben, sich nicht starr nach Normen und Regeln verhalten, sondern soziale Situationen interpretieren und so prozeßhaft soziale Wirklichkeit konstituieren."[12]

 

Hier beschäftigt sich der Forscher also nicht mehr hauptsächlich mit der Methode, sondern mit der Interpretation, deren Forschungsprinzipien zwar auf einer gemeinsamen Basis begründet sind, aber Unterschiede aufweisen können. Im Gegensatz zur quantitativen Beobachtung ist bei der qualitativen Beobachtung eine - teilweise oder zeitlich begrenzte - personelle Identität von Forscher und Beobachter möglich.[13]

 

 

 

1.4 Elemente der Beobachtung

 

1.4.1 Beobachtungsfeld

 

Der Bereich, in dem eine Beobachtung stattfinden soll, bezeichnet man als Beobachtungsfeld. Dabei handelt es sich nicht ausschließlich um das räumliche Umfeld, in dem die Beobachtung stattfinden soll, vielmehr spielen auch der soziale Bereich, der Zeitpunkt und die Rahmenbedingungen der Untersuchung eine Rolle. Vorkenntnisse über das Beobachtungsfeld sind wichtig, damit die Untersuchung nicht verzerrt wird. Als Beispiel wäre es wenig sinnvoll, eine Beobachtung von sozialen Verhalten von Studenten in Seminaren in der vorlesungs freien Zeit durchzuführen.[14]

 

Weitere mögliche Verzerrungen würden sich ergeben, wenn man die Grenzen des Raumes, in dem man die Beobachtung durchführen will, zu eng steckt. So wäre es z.B. unzureichend, das soziale Verhalten von Studenten nur innerhalb der Universität zu beobachten und andere Lebensbereiche wie Wohnheime, Kneipen, etc. außer acht zu lassen.[15]

 

 

 

1.4.2 Beobachtungseinheiten

 

Eine Beobachtungseinheit ist derjenige Teilbereich sozialen Geschehens, der der konkrete Gegenstand der Beobachtung sein soll.[16]

Bei der quantitativen orientierten Beobachtung ist eine Beobachtungseinheit die kleinste, vollständig deutbare Einheit eines Verhaltens. In der Bales 'schen Interaktionsanalyse z.B. (siehe Kap. 3.1 - Die Interaktionsanalyse von R. F. Bales) bildet ein Satz eine Beobachtungseinheit:

 

,,Aus der Beschreibung des Aufzeichnungsprozesses geht deutlich hervor, daß jedes Mal, wenn die handelnden Personen wechseln, eine neue Einheit beginnt. Manchmal spricht jedoch jemand während längerer Zeit. Er sagt z.B.: "Ich habe genau 12 Uhr. Allerdings ist meine Uhr in der letzten Zeit gelegentlich stehengeblieben. Ich weiß also nicht, ob meine Zeit genau stimmt.' Der Beobachter würde für diese Satzfolge drei Einheiten eintragen, für jeden Satz eine."[17]

 

Qualitative Untersuchungen jedoch wollen, wie in Kap. 1.1 schon erläutert, Situationen in ihrer Ganzheit erfassen und verwenden deshalb weniger stark abgegrenzte Beobachtungseinheiten, hier werden eher ganze Situationen als Beobachtungseinheiten verstanden. Situationen werden hierbei als eine sinnlich wahrnehmbare Einheit von Personen, anderen Organismen oder materiellen Elementen verstanden, wie z.B. die Situation ,,Volksfest", die noch weiter unterteilt werden kann in Teilsituationen wie ,,Festumzug" oder ,,Bierzelt".[18]

 

 

 

1.4.3 Beobachter/Beobachtete

 

Bezüglich des Beobachters muß in erster Linie auf seinen Beobachterstatus geachtet werden. Er ist gekennzeichnet von einem unterschiedlich hohen Partizipationsgrad (siehe Kap. 2.2.1 - Hoher/geringer Partizipationsgrad), d.h. eine Beobachterrolle kann an der Situation teilnehmen oder nur beobachtend außen vor stehen (siehe Kap. 2.2 - Teilnehmende/ nicht-teilnehmende Beobachtung). Gerade bei der teilnehmenden Beobachtung können teilweise Beobachter und die zu beobachtende Situation unvereinbar sein, wie z.B. die Beobachtung des sozialen Verhaltens innerhalb von Frauenhäusern durch einen männlichen Beobachter. [19]

 

Der jeweilige Beobachterstatus hat einen Einfluß auf die Beobachteten. Wichtig hierbei ist wiederum der Partizipationsgrad des Beobachters, der der Situation angepaßt sein muß, so daß mögliche Verzerrungen weitgehend vermieden werden können. In den folgenden Kapiteln wird noch näher auf diese Problematiken eingegangen werden.

 

Als eine besondere Form der Beobachtung sei hier kurz die Selbstbeobachtung erwähnt. Wissenschaftler können nicht nur Verhalten anderer studieren (Fremdbeobachtung), sondern auch sein eigenes. Oswald Huber hebt hervor, daß die methodische Kontrolle bei der Selbstbeobachtung in wesentlichen Punkten nicht gelänge, gerade weil die Position des Beobachters mit der des Beobachteten zusammenfällt.[20]

 

Deshalb wird sie auch bei der Überprüfung von Hypothesen nicht mehr angewendet.

Im folgenden wird deshalb unter Beobachtung nur noch die Fremdbeobachtung verstanden.

 

 

 

2. Formen der Beobachtung

 

Die folgenden Formen der Beobachtung sind nicht beliebig miteinander austauschbar. Unterschiedliche Formen der Beobachtung ziehen unterschiedliche Ergebnisse nach sich. So unterscheiden sich auch die Art der auftretenden Fehler von Form zu Form z.T. erheblich (siehe dazu Kap. 4 - Fehlerquellen). Dies ist um so bedeutender, sollen verschiedene Ergebnisse miteinander verglichen werden.

 

 

 

2.1 Feldbeobachtung / Laborbeobachtung

 

Im Zusammenhang mit der Feld- bzw. Laborbeobachtung sprechen Renate Mayntz, Kurt Holm und Peter Hübner von den Begriffen ,,Beobachtungen in `natürlichen' sozialen Situationen (> die Feldbeobachtung) und ,,Beobachtungen in `künstlich', experimentell erzeugten Situationen.[21](> die Laborbeobachtung), was die Merkmale dieser Beobachtungsformen eher beschreibt.

 

Der Unterschied bei der Feld- und Laborbeobachtung liegt in dem Umfeld, in dem die Beobachtung vorgenommen wird: Während bei der Feldbeobachtung soziales Verhalten innerhalb des natürlichen Kontexts studiert wird, bedient sich die Laborbeobachtung künstlich geschaffenen Situationen,[22] in denen ein Verhalten beobachtet wird.[23] Es handelt sich hierbei also nicht um das ,,gekachelte Labor", es sei denn, es gehört zu der zu beobachtenden Situation dazu. Bei der Laborbeobachtung stellt sich die Frage, ob die so erhaltenen Ergebnisse Aussagen über das entsprechende Verhalten im natürlichen Kontext zulassen, ob sie sich also auf die Realität übertragen lassen. Außerdem ist es nicht immer möglich, bestimmte Situationen kontrolliert hervorzurufen.

 

Vorteile der Laborbeobachtung sind allerdings die leichtere Wiederholbarkeit im Vergleich zur Feldbeobachtung und somit eine leichtere Überprüfbarkeit. Außerdem kann ,,im Labor" gezielter ,genauer und kontrollierter beobachtet werden. Von einer Beobachtung unter kontrollierten Bedingungen läßt sich dann sprechen, wenn folgende Punkte gezielt festgelegt sind:

 

 

 

 

2.2 Teilnehmende/nicht-teilnehmende Beobachtung

 

Bei der teilnehmenden bzw. nicht-teilnehmenden Beobachtung handelt es sich um die Position des Beobachters zum Gegenstand seiner Forschung, d.h., ob der Wissenschaftler selbst ein Teil der zu beobachtenden Situation ist oder die Verhaltensabläufe als am Geschehen Unbeteiligter beobachtet.

 

Mayntz, Holm, Hübner dazu: ,,Die nicht-teilnehmende Beobachtung zeichnet sich dadurch aus, daß der Beobachter gleichsam von ,,außen her" die in der Situation ablaufenden sozialen Prozesse registriert, ohne selbst an ihnen anders als beobachtend beteiligt zu sein. Die teilnehmende Beobachtung ist dadurch charakterisiert, daß der Beobachter selbst eine im Beobachtungsfeld definierte Rolle übernimmt und sich den anderen Handelnden gegenüber dieser Rolle entsprechend verhält, ohne von ihnen als Beobachter mit einem wissenschaftlichen Interesse erkannt zu werden."[24]Vorteil der teilnehmenden Beobachtung ist, daß der Beobachter durch den direkten Kontakt mit dem zu untersuchenden sozio-kulturellen System ein größerer Einblick in dieses gewährt wird.[25]

 

Die nicht-teilnehmende Beobachtung ist eher für die Laboruntersuchung charakteristisch, aber nicht darauf beschränkt. Vorteil der nicht-teilnehmenden Beobachtung ist die Tatsache, daß der Beobachter nicht gezwungen ist, an der Situation teilzunehmen. Da der Forscher seine volle Aufmerksamkeit der Beobachtung schenken kann, erleichtert sich die Standardisierung der zu beobachtenden Situation, außerdem die systematische Anlage des ganzen Beobachtungsvorgangs und die Registrierung der Ergebnisse. Nachteilig ist jedoch die Tatsache, daß der Forscher auf bestimmte Verhaltenssequenzen warten muß, während sie bei der teilnehmenden Beobachtung vom Beobachter provoziert werden können.[26]

 

Fraglich bei der teilnehmenden Beobachtung ist es, inwiefern das Verhalten der zu beobachtenden Personen durch die Anwesenheit des Beobachters beeinflußt wird und somit das Ergebnis verfälscht (siehe hierzu Kap. 4.3 - Reaktive Effekte). Teilnehmende Beobachtungen sind also nur dann ratsam, wenn man davon ausgehen kann, daß das Wissen um eine beobachtende Person den sozialen Prozeß nicht stark verändert oder sich die Veränderungen in einem kontrollierbaren Rahmen befinden- in privaten, vertraulichen Situationen ist sie also nicht anzuwenden.

 

Aber auch bei der nicht-teilnehmenden Beobachtung besteht die Möglichkeit, daß durch die bloße Anwesenheit des Beobachters die Situation verändert wird. Peter Atteslander stellt in diesem Zusammenhang fest, daß ,,jede Beobachtung im strengen Sinne teilnehmend ist".[27]

 

 

 

2.2.1 Hoher /geringer Partizipationsgrad

 

Peter Atteslander unterscheidet bei der teilnehmenden Beobachtung zwischen einem hohen bzw. niedrigen Partizipationsgrad.[28]

Dabei bezeichnet er die Form der Beobachtung, die Mayntz, Holm, Hübner als nicht-teilnehmend ansehen, als teilnehmende Beobachtung mit sehr geringem Partizipationsgrad. Dennoch dürfen beide Begriffe nicht synonym verwendet werden.

 

Nimmt der Forscher bei der Beobachtung eine soziale Rolle ein, kann diese entweder aktiv oder passiv sein. Aktiv ist sie, wenn der Forscher bestimmte Situationen provoziert oder herbeiführt. Hierbei spricht man von einem hohen Partizipationsgrad bzw. von einer aktiv-teilnehmenden Beobachtung. Im Gegensatz dazu kann der Forscher aber auch eine passive Rolle einnehmen, so z.B. als Mitglied der Gruppe. Beobachtet er nur den Verlauf der Dinge und nimmt selbst keinen Einfluß auf das Geschehen, so ist sein Partizipationsgrad niedrig bzw. es liegt eine passiv-teilnehmende Beobachtung vor.

 

 

 

2.3 Strukturierte/unstrukturierte Beobachtung

 

Strukturierte und unstrukturierte Beobachtungen unterscheiden sich in dem Grad ihrer Differenziertheit.

Dabei beachtet der Forscher bei der unstrukturierten Beobachtung relativ grobe Kategorien sozialen Verhaltens. Je differenzierter diese Kategorien werden, desto strukturierter wird die Beobachtung. Deshalb gehen die unstrukturierten Beobachtungen den strukturierten meist voraus, besonders dann, wenn das zu beobachtende Feld noch unerforscht ist. Denn um konkrete Forschungshypothesen aufstellen zu können, die mit Hilfe eines Beobachtungsschemas untersucht werden, bedarf es zunächst einer genauen Kenntnis des Beobachtungsfeldes.

 

Eine strukturierte Beobachtung beschreibt Atteslander wie folgt:

 

,,Der strukturierten Beobachtung liegt ein vorab erstelltes Beobachtungsschema zugrunde, das angibt, was und wie zu beobachten ist. Es definiert die Zahl und Art der Beobachtungseinheiten, deren besondere Dimensionen und gibt Beispiele für die Sprache, in der beobachtet werden soll."[29]

 

Als Beispiele für unstrukturierte Beobachtungen gelten bei Sellitz, Jahoda, Deutsch und Cook ethnologische Studien:[30]

 

Ethnologen beobachten eine fremde Kultur, um deren Strukturen und Charakteristika herauszufinden. Aus diesen zunächst noch allgemeinen Beobachtungen entwickeln sich differenziertere Kategorien für die Beobachtung. Erst dann werden gezielt einzelne Aspekte des sozialen Systems mittels strukturierter Beobachtungen untersucht. Dabei werden insbesondere auch aus der unstrukturierten Beobachtung heraus aufgestellte Hypothesen überprüft.

 

 

 

2.4 Offene/verdeckte Beobachtung

 

Bei der offenen Beobachtung ist dem Beobachteten bewußt, daß ein Wissenschaftler anwesend ist, der ihn in der vorliegenden Situation beobachtet. Für den Forscher bedeutet dies, daß er sich freier und offener im Feld bewegen kann, im Gegensatz zur verdeckten Beobachtung. Die durch die ungewohnte Situation des ,,beobachtet werdens" auftretenden Verzerrungen der Beobachtungen durch Verhaltensänderungen verschwinden jedoch nach einer Eingewöhnungsphase. Dann hat der Beobachtete sich an die Aufzeichnungsgeräte gewöhnt, es können sogar Vertrauensverhältnisse zwischen Beobachter und Beobachteten entstehen, die einen Informationenaustausch und ein Verstehen des zu untersuchenden Feldes ohne Täuschungen ermöglicht.[31]

 

Bei der offenen Beobachtung kann auch mit ,,teilweiser" Offenheit gearbeitet werden. So kann z.B. ein Forscher die zu untersuchenden Personen zwar davon unterrichten, daß sie beobachtet werden, verschweigt ihnen aber die Forschungsfrage, wenn dies im Interesse seiner Beobachtung ist, d.h., wenn ansonsten Verzerrungen des natürlichen Verhaltens zu erwarten wären.[32]

 

Bei der verdeckten Beobachtung weiß keiner der Beobachteten von der Existenz eines Forschers in der Gruppe. Dadurch sollen sie sich so natürlich und ungestört wie möglich fühlen. Eine verdeckte Beobachtung wird in der Sozialforschung jedoch nur selten angewendet - also nur, wenn eine offene Beobachtung nicht durchgeführt werden kann, da in diesem Fall die für die Untersuchung relevanten Verhaltensweisen zu stark verändert oder gar nicht gezeigt werden würden. Sinn dieses Beobachtungsverfahrens ist es also, reaktive Effekte zu vermeiden (siehe Kap. 4.3 - Reaktive Effekte).

 

Als Beispiele können hier die Untersuchung von Sektenaktivitäten oder von Sexualverhalten gelten.[33]

Bei letzterem ist eine verdeckte Beobachtung vonnöten, da sonst zwei ungewollte Effekte auftreten, wie Atteslander aus Humphrey's Untersuchung zitiert:

 

,, In eine öffentliche Toilette zu kommen mit einem Button am Aufschlag, auf dem steht 'Ich bin ein Spitzel und bespitzele Dich', würde zum sofortigen Abbruch aller Aktivitäten führen [...]. Der zweite Grund liegt darin, daß es gilt, Verzerrungen zu vermeiden. [Würden einige] Männer gefunden werden können, die ihre sexuellen Aktivitäten auch unter Beobachtung fortsetzen würden, wie `normal' könnten solche Aktivitäten wohl sein? Wie könnte der Forscher `Show und `Täuschung' vom Regelverhalten bei Begegnungen dieser Art unterscheiden?"[34]

 

Bei der verdeckten Beobachtung gibt es zwei Möglichkeiten der Tarnung; entweder schlüpft der Beobachter in eine vorhandene oder neu geschaffene soziale Rolle, oder aber er beobachtet das Geschehen durch einen einseitig durchsichtigen Spiegel.[35]

 

Bei der Übernahme einer Rolle im Feld erhält der Beobachter zwar einen größtmöglichen Einblick in das von ihm zu beobachtende Feld, jedoch stellt diese Untersuchungsmethode auch ungewöhnlich hohe Anforderungen an den Forscher, da er während der Beobachtung nicht nur die Rolle des Forschers, sondern auch die des sozialen Teilnehmers im Feld zu spielen hat. Neben dieser Doppelbelastung für den Untersuchenden besteht weiterhin die Gefahr einer Enttarnung und somit auch ein Abbruch der Beobachtung. Ein letzter Punkt gegen die verdeckte Methode ist der forschungsethische Einwand, da möglicherweise Informationen über das Forschungsfeld oder die Beobachteten weitergegeben werden ohne deren Einverständnis, da ihnen die Tatsache, daß sie beobachtet werden, ja unbekannt war.[36]

 

 

 

2.5 Direkte/indirekte Beobachtung

 

Wenn Daten während oder direkt nach dem Beobachtungsvorgang erfaßt werden, so spricht man von einer direkten Beobachtung. Eine indirekte Beobachtung hingegen ist die ,,Beobachtung von Sekundärmaterial, etwa das Studium von Protokollen oder Expertenberichten"[37], obwohl Atteslander einschränkend erwähnt, daß dies eher eine Dokumentenanalyse als eine Beobachtung sei.

 

 

 

3. Beobachtungsverfahren

 

3.1 Die Interaktionsanalyse von R. F. Bales

 

In den 50er Jahren entwickelte Robert F. Bales eine Methode zur Untersuchung kleiner Gruppen, die nach ihm benannte Balessche Interaktionsanalyse bzw. Analyse des Interaktionsprozesses (IPA).

 

Diese Methode sollte der Untersuchung kleinerer Gruppen für verschiedenste Aufgaben dienen: ,,Sie [die IPA] ist insofern einen allgemeine Methode, als sie unabhängig von dem Thema oder der Aufgabe, mit der sich die Gruppe befaßt, angewendet werden kann, indem sie die Meßbarkeit eines Systems von theoretisch bedeutsamen Variablen eröffnet."[38] Ziel ist es, ,,aus dem Rohmaterial der Beobachtung [...] die Bedeutsamkeit jeder Handlung für die Lösung der Problems im Gesamtablauf des Gruppengeschehens [zu abstrahieren]".[39] Bei der Entwicklung seines Systems ließ sich Bales von der Annahme leiten, ,,daß man sich jedem geordneten und wenigstens teilweise kooperativen System menschlicher Interaktion [...] um Zweck der wissenschaftlichen Analyse in einer bestimmten Weise annähern kann".[40]

 

Unter sozialer Interaktion versteht Bales ein ,,Gespräch oder ein Verhalten, durch das zwei oder mehr Personen unmittelbar miteinander verkehren."[41]

 

Diese sozialen Interaktionen teilt er in zwölf Kategorien ein. Diese Kategorien sind so beschaffen, daß sich jedes Verhalten in eine Kategorie eingeordnet werden kann. Es gibt also keine ,,Restkategorie", in die Handlungen eingeordnet werden, die den anderen nicht zuzuordnen sind. Außerdem wird jede beobachtete Handlung nur einer Kategorie zugeordnet.

 

 

 

Die zwölf Kategorien der Interaktion sind folgende:

 

  1. Zeigt Solidarität (z.B. Hilfe, Belohnung, Bestärkung)
  2. Zeigt Entspannung (z.B. Scherze, Lachen)
  3. Zeigt Zustimmung (z.B. Nachgeben, Konsens)
  4. Macht Vorschläge
  5. Äußert Meinung (z.B. Bewertung, Analyse)
  6. Gibt Information (z.B. Orientierung, Erklärung)
  7. Spiegelbildlich sind nun die letzten sechs Kategorien den ersten sechs angeordnet, und zwar folgendermaßen:
  8. 7) bildet das Spiegelbild zu 6) und gibt nun hier keine Information, sondern erfragt diese.
  9. 8) ergänzt 5) und erbittet eine Meinungsäußerung (Stellungnahmen, Bewertungen, Analysen)
  10. 9) Erbittet Vorschläge (bzw. Anleitungen, mögliche Wege des Vorgehens)
  11. 10) Stimmt nicht zu (z.B. passive Ablehnung, Förmlichkeit, Hilfeverweigerung)
  12. 11) Zeigt Spannung (z.B. Bitte um Hilfe, Zurückziehen)
  13. 12) Zeigt Antagonismus (z.B. Herabsetzung anderer, Behauptung, Verteidigung)[42]

 

Jedes der Gegensatzpaare entspricht einem ,,funktionellen Problem". Bales dazu: ,,Im Sinne einer ersten, ungefähren Annäherung stellt man sich funktionelle Probleme am besten als eine Reihe von `Stufen' oder `Schritten' bei der Lösung eines Problems vor".[43]

 

Die sechs funktionellen Probleme sind:

 

 

Diese sechs funktionellen Probleme lassen sich laut Bales ,,auf jedes konkrete Interaktionssystem logisch [anwenden]".[44]

 

In diesem System stehen sich ,,negative" und ,,positive" Ausprägungen zweier Bereiche gegenüber. Dem sozialemotionalen Bereich ,,positive Reaktion" (Kategorien 1 bis 3) steht die ,,negative Reaktion" desselben Bereichs mit den Kategorien 10 bis 12 gegenüber. Den ,,Fragen" aus dem Bereich der Aufgaben (Kategorien 7 bis 9) entsprechen die Kategorien 4 bis 6 als ,,Versuche der Beantwortung". Bales untersuchte mit diesem Schema verschiedene Gruppen in seinem Labor, denen er die Aufgabe stellte, gegebene Fragen zu erörtern und Probleme zu lösen. Die Beobachter verfolgten das Geschehen hinter einer einseitig durchsichtigen Scheibe und protokollierten den Vorgang. Wenn z.B. Gruppenmitglied 1 Gruppenmitglied 5 die Frage stellte: ,,Wie spät ist es?", so wurde unter Kategorie 7 die Eintragung 1-5, bei der Antwort auf die gestellte Frage unter Kategorie 6 erfolgte die Eintragung ,,5-1".[45]

 

Ein Problem bei dieser Beobachtungsmethode liegt bei der Geschwindigkeit des Handlungsablaufes und mit der damit verbundenen Schwierigkeit, die beobachtete Handlung zu registrieren und zu interpretieren. Weiterhin soll der Beobachter die Rolle des ,,generalisierten Anderen" übernehmen, soll sich also ,,den Inhalt der gemeinsamen Kultur der beobachteten Gruppe aneignen, und die beobachteten Interaktionen von diesem Verständnis her interpretieren. Das soll ihn in die Lage versetzen, eine Handlung so zu interpretieren, wie sie von den Handelnden gemeint und von dem, auf den sie sich bezieht, auch gedeutet wird."[46]

 

Mittels seines Schemas war es Bales möglich, Fragen über die Gruppenstruktur und Gruppenprozesse empirisch zu beantworten.[47]

 

 

 

3.2 Die Street Corner Society als Beispiel für eine teilnehmende Beobachtung

 

Mitte der 60er Jahre veröffentlichte der Sozialforscher William F. Whyte seine als ,,Street Corner Society" bekannt gewordene Falluntersuchung. Als teilnehmender Beobachter wollte er das Vorurteil widerlegen, daß ,,das soziale Leben in den Slums amerikanischer Großstädte sich vor allem durch soziale Desorganisation auszeichne".[48]

 

Dazu lebte er dreieinhalb Jahre lang in Cornerville, USA, einem Slum, und studierte dessen soziale Strukturen. Sein Ergebnis war, ,,daß jedes Gruppenmitglied eine bestimmte soziale Position innerhalb der Gruppenstruktur einnimmt, die seine Verhaltensweisen gegenüber den anderen Gruppenmitgliedern festlegt."[49]

 

Es lag also keine soziale Desorganisation vor, wie vermutet wurde, statt dessen stieß Whyte auf ein strukturiertes soziales System mit einem hierarchischen Aufbau und einem institutionalisierten Normen- und Wertegefüge.[50]

 

Für seine Untersuchung war charakteristisch, daß ,, sie eine explorative Funktion hat und keine explizit definierten Hypothesen empirisch überprüfen wollte".[51]

Whytes ,,Street Corner Society" war eher eine unstrukturierte Beobachtung eines bis daher nicht näher erforschten sozio-kulturellen Umfeldes.

 

 

 

3.3 Nicht-reaktive Verfahren

 

Kennzeichen der nicht-reaktiven Verfahren ist die Tatsache, daß Forscher und Betroffene nicht miteinander in Kontakt treten. Hiermit wird ausgeschlossen, daß der Forscher die Beobachteten beeinflussen oder diese mit einem veränderten Verhalten auf die Anwesenheit des Beobachters reagieren. So kann z.B. die Kleidung verschiedenen Personen Aufschluß über den sozialen Status geben, den sie bekleiden. Auch läßt die Kleidung Rückschlüsse über den Beruf oder das Studienfach der Person zu. Man kann allerdings nicht nur anhand von Personen, sondern aufgrund Veränderungen in der Umwelt Schlüsse ziehen. So kann man z.B. am Zustand eines Buches aus einer Leihbücherei erkennen, wie oft diese Buch entliehen wird. Genauso geben abgetretene Fußbodenplatten in einem Museum Aufschluß darüber, wo die Besucherwege entlang führen, d.h., ob einem Kunstwerk vielleicht mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht wird als anderen.[52]

 

So können viele Beobachtungen in der Umgebung Aufschluß über damit zusammenhängende Umstände geben, die in diesem Fall nicht durch die Anwesenheit eines Beobachters verzerrt wurden.

 

 

 

3.3.1 Lost-Letter-Technique

 

Zur Verdeutlichung der methodologischen und methodischen Probleme bei nicht-reaktiven Verfahren eignet sich die sog. ,,Lost-Letter-Technique".[53]

 

Hierbei legt man eine Anzahl verschlossener, adressierter und frankierter Briefe in einer Stadt aus an verschiedenen Orten wie z.B. Telefonzellen, auf Straßen etc. Personen, die diese Briefe finden, haben die Möglichkeit, die Briefe entweder zu zerreißen, liegenzulassen oder aufzugeben. Die Adressen hierbei stammen von mehreren verschiedenen Organisationen. An der Rücklaufquote der Briefe nun will man die Popularität der jeweiligen Organisation ablesen können. Verzerrend hierbei wirkt allerdings die Tatsache, daß die Fundorte der Briefe Einfluß auf deren Rücklaufquote - bei Läden und Autos sind sie am höchsten - haben können. Auch das Wetter hat einen Einfluß auf den Rücklauf der Briefe. Da sie möglichst mit der Adressierung nach oben liegen sollen, ist dies an windigen und regnerischen Tagen problematisch.[54]

 

Zwar können wetterbedingte Störungen vermieden werden und die Bevölkerungszusammensetzung anhand von demographischen Merkmalen kontrolliert werden, aber das Hauptproblem bei dieser ,,Lost-Letter-Technique" ist, daß hierbei eher die Ehrlichkeit der Finder als deren Einstellung zum jeweiligen Adressaten gemessen wird.[55]

 

 

 

4. Fehlerquellen

 

Mögliche Fehlerquellen bei der Beobachtung können beim Beobachter, dem Instrument und der Situation liegen. Kennt man die typischen Fehlerquellen, so lassen sich die Fehlerquellen zumindest minimieren.

 

Eines der gravierendsten Probleme ist die Tatsache, daß soziales Verhalten abstrakt ist, Beobachtetes muß nicht notwendigerweise mit der Realität übereinstimmen. So kann Anteilnahme, z.B. am Schicksal eines anderen, nicht als solche beobachtet werden, vielmehr muß auf sie geschlossen werden aus beobachtbarem Sachverhalten. Dies geschieht um so zuverlässiger, je ähnlicher das soziale Umfeld von Beobachter und Beobachtetem ist, da sich ihre ,,soziale Sprache" dann ähnlicher ist.

 

 

 

4.1 Systematische Fehler

 

Fehler können schon in der Vorbereitungsphase einer Beobachtung auftreten. Denkbar sind eine ungeschickte Auswahl der Beobachtungsform, unzureichende Klärung des zu beobachtenden Verhaltens, ein unpassendes oder ungenaues Kategorienschema, eine ungenaue Festlegung der Beobachtungseinheiten, eine schlechte Auswahl der Beobachtungsperioden, eine ungenaue Abklärung über die Bedeutung bestimmter Gesten und Handlungen (speziell in fremden Kulturen), um nur einige zu nennen.

 

Ist eine Beobachtung von den Forschern in der Theorie geplant und festgelegt, kann ein ,,Pre-test" einen ersten Hinweis auf den Wert der damit durchgeführten Beobachtung geben. Diese ,,Vorab-Beobachtung" hält Jürgen Friedrichs ,,bei jeder Studie mit einem Beobachtungsverfahren [für] unerläßlich."[56]

 

Der Pretest stelle eine Stichprobe dar, die ,,fast immer [...] zur Revision des Schemas [der Beobachtung] und fast immer zu weiterer Schulung der Beobachter [führt]".[57]

 

 

 

4.2 Fehler durch den Beobachter

 

Auch der Forscher selbst wird bei der Beobachtung zum Instrument dieser Forschung. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, muß ein Beobachter hierfür geschult sein, um als dieses ,,Instrument der Forschung" fungieren zu können.

 

König beschreibt die Anforderungen an einen Beobachter folgendermaßen: ,,...er [muß] sich zunächst befreien und `abschneiden' von allen Beziehungen der Rasse, der Nationalität, der Interessen, Vorlieben, Vorurteile und abergläubischen Vorstellungen, die seine eigene Gesellschaft und seine Zeit ihm geschaffen haben."[58]

 

Daß diese Forderung nur schwer zu erfüllen ist, ist einleuchtend. Grundsätzlich läßt sich sagen, daß, je höher der Partizipationsgrad eines Beobachters ist, desto größer die Gefahr ist, daß er das Ergebnis in seinem Sinne prägen kann. Nimmt ein Forscher am Geschehen in einer Gruppe teil, so muß er sich bis zu einem gewissen Grad durch Sozialisation an diese anpassen. Damit verliert er aber gleichzeitig Distanz und büßt ,,Objektivität" ein. Schon bei einem nur kurzen Kontakt zu den zu Beobachtenden (wie z.B. bei der Begrüßung im Labor) kann er ,,Signale" aussenden, die das Verhalten der Personen beeinflussen kann.

 

Des weiteren können Verfälschungen auftreten, wenn der Forscher sich mit bestimmten Personen identifiziert, andere dagegen ablehnt (ebenso mit geäußerten Ansichten). Auch besteht die Gefahr, daß der Forscher Aspekte, die eine von ihm bevorzugte Theorie stützen, eher wahrnehmen als ihr widersprechende.[59]

Aber auch Forscher mit einem eher niedrigen Partizipationsgrad können beträchlich auffallen und damit die Situation als solche verfälschen, wie Günter Albrecht anmerkt.[60]

 

Ein Beobachter nimmt auch nicht zu allen Zeiten das Gleiche wahr, selbst wenn die Situation unverändert ist (intraindividuelle Unterschiede). Ebenso nehmen verschiedene Beobachter die gleiche Situation verschieden wahr (interindividuelle Unterschiede).

 

Um diese denkbaren Fehler bei der Beobachtung zu vermeiden, gibt es die Möglichkeit, mehrere Forscher gleichzeitig beobachten zu lassen oder eine wiederkehrende Situation erneut beobachtet wird.

 

In diesen Fällen werden die verschiedenen Ergebnisse miteinander verglichen, man überprüft die Reliabilität der Beobachtung. Außerdem kann es angebracht sein, einen Forscher aus einem möglichst stark abweichenden sozialen Umfeld miteinzubeziehen (Überprüfung der Validität).

 

 

 

4.3 Reaktive Effekte

 

Sind sich untersuchte Personen darüber im Klaren, daß sie beobachtet werden, so muß man damit rechnen, daß reaktive Effekte auftreten: In der Situation der Beobachtung ändern die Beobachteten bewußt oder unbewußt ihr Verhalten. In diesem Zusammenhang ist der ,,Versuchs-Kaninchen-Effekt" zu nennen, der besagt, daß sich eine beobachetete Person eine bestimmte Situation ,,zurechtlegt" und sich nach dieser Annahme zu verhalten versucht. Günter Albrecht bemerkt hierzu aber, daß dieser Effekt ,,nicht absolut sicher vorhanden, aber sehr wahrscheinlich" ist.[61] Ein weiterer reaktiver Effekt ist der Rollenwahleffekt, der mit ersterem eng verbunden ist, jedoch wird hierbei eine ganz bestimmte Rolle gewählt.

 

Diese Effekte lassen sich durch eine verdeckte Beobachtung vermeiden. Ist eine derartige Form der Beobachtung nicht durchführbar, so kann man versuchen, die unerwünschten Effekte abzuschwächen.

 

Huber spricht von einer Eingewöhnungsphase der beobachteten Personen als Mittel gegen reaktive Effekte. [62]

Denkbar sind auch ,,Täuschungsmanöver", in denen man vorgibt, z.B. das Kind einer bestimmten Person zu beobachten, in Wirklichkeit handelt es sich bei dem Objekt der Beobachtung um die angesprochene Person selbst. Außerdem kann der menschliche Beobachter durch Aufzeichnungsgeräte ersetzt werden, da davon auszugehen ist, daß eine beobachtete Person sich leichter an ein Gerät als an einen Menschen gewöhnt.

 

Doch selbst eine frontale Beobachtung braucht nicht notwendiger weise einen Einfluß auf die Beobachtung haben. Wie J. Friedrichs berichtet, führte er eine offene Beobachtung mit 70 Teilnehmern, die über gesellschaftliche und persönliche Probleme der Sexualität sprachen. Trotz des Themas, welches sich eher nicht für offene Beobachtungen, anbietet (vgl. Kap. 2.4 - Offene/verdeckte Beobachtung), ließen sich reaktive Effekte - durch Befragung bei den Beobachtern und den Teilnehmern - nicht feststellen. Auch auf die Frage hin, ob die Teilnehmer sich beobachtet gefühlt hätten - obwohl für alle erkennbar war, daß zwei Personen an der Diskussion nicht teilnahmen und frontal vor der Diskussionsgruppe saßen - verneinten sie jede Beeinflussung durch die anwesenden, jedoch nicht als solche vorgestellten Beobachter.[63]

 

Typischer, gerade bei ausdrücklich offenen Beobachtungen in diesen Themenbereichen, sind jedoch eher Reaktionen wie in Kap. 2.4 - Offene/verdeckte Beobachtung beschrieben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Literaturverzeichnis

 

Albrecht, Günter: Nicht-reaktive Messung und Anwendung historischer Methoden, in: Jürgen van Koolwijk und Maria Wieken-Mayser (Hrsg.): Techniken der empirischen Sozialforschung, 2. Bd. Untersuchungsformen, München, Wien 1975

 

Atteslander, Peter: Methoden der empirischen Sozialforschung, Sammlung Göschen de Gruyter, 8. Auflage, Berlin 1995

 

Bales, Robert F.: Die Interaktionsanalyse: Ein Beobachtungsverfahren zur Untersuchung kleiner Gruppen, in: Rene König (Hrsg.). Beobachtung und Experiment in der Sozialforschung, 8. Auflage, Köln 1972

 

Friedrichs, Jürgen: Methoden der empirischen Sozialforschung, 13. Auflage, Opladen 1985

 

Huber, Oswald: Beobachtung, in: Erwin Roth (Hrsg.): Sozialwissenschaftliche Methoden, 2. Auflage, München 1989

 

König, Rene: Die Beobachtung, in: Rene König (Hrsg.): Grundlegende Methoden und Techniken der empirischen Sozialforschung, I. Teil, Bd. 2, 3. Auflage, Stuttgart 1973

 

Mayntz, Renate, Kurt Holm und Peter Hübner: Einführung in die Methoden der empirischen Soziologie, 5. Auflage, Opladen 1978

 

Sellitz, Claire, Marie Jahoda, Morton Deutsch, Stuart W. Cook: Untersuchungsmethoden der Sozialforschung, TeilI, Neuwied, Darmstadt, 1972

 

Weidmann, Angelika: Die Feldbeobachtung, in: Jürgen van Koolwijk und Maria Wieken-Mayser/Hrsg.): Techniken der empirischen Sozialforschung, 3. Bd. -Erhebungsmethoden: Beobachtung und Analyse von Kommunikation, München, Wien 1974.

 

 

 

 

 

 



[1] Atteslander, P.: Methoden der empirischen Sozialforschung, Sammlung Göschen de Gruyter, 2 Auflage, Berlin 1995, S.87.

[2] Atteslander, P., ebenda.

[3] Atteslander, P., ebenda.

[4] Sellitz, Jahoda, Deutsch, Cook: Untersuchungsmethoden der Sozialforschung, Teil I, Neuwied, 1972, S.238.

[5] Atteslander, P., a.a.O., S. 126 ff

[6] ebenda., a.a.O., S. 126 ff.

[7] Friedrichs, Jürgen: Methoden der empirischen Sozialforschung, 13. Auflage, Opladen 1985

[8] Atteslander, P., a.a.O., S. 89/90.

[9] Sellitz, C., M. Jahoda, M. Deutsch und Stuart W. Cook, a.a.O., S. 238.

[10] Atteslander, P., a.a.O., S. 91

[11] Atteslander, P. a.a.O., S. 92

[12] Atteslander, P., ebenda.

[13] Atteslander, P. a.a.O., S. 94.

 

[14] Atteslander, P., a.a.O., S. 97.

[15] Atteslander, P. a.a.O., S. 99.

[16] Atteslander, P., ebenda.

[17] Bales, R.F. : Die Interaktionsanalyse: Ein Beobachtungsverfahren zur Untersuchung kleiner Gruppen, in: Rene König (Hrsg.): Beobachtung und Experiment in der Sozialforschung, 8.Auflage, Köln 1972.

[18] Atteslander, P., a.a.O., S. 101

[19] Atteslander, P., a.a.O., S. 102

[20] Huber, O.: Beobachtung, in: Erwin Roth (Hrsg.): Sozialwissenschaftliche Methoden, 2. Auflage, München 1989, S. 125 f.

[21] Mayntz, R., Kurt Holm und Peter Hübner: Einführung in die Methoden der empirischen Soziologie, 5.Auflage, Opladen 1978, S. 90.

[22] Mayntz, Holm, Hübner, a.a.O., S. 98.

[23] Mayntz, Holm, Hübner,a.a.O., S. 90.

[24] Mayntz, Holm, Hübner, a.a.O., S. 98.

[25] Mayntz, Holm, Hübner, a.a.O., S. 100.

[26] Mayntz, Holm,Hübner, a.a.O., S. 99

[27] Atteslander, P., a.a.O., S. 136.

[28] Atteslander, P., a.a.O., S. 136.

 

 

[29] Atteslander,P., .a.aO., S. 105.

[30] Sellitz, Jahoda, Deutsch, Cook, a.a.O., S. 245ff

[31] Atteslander, P. a.a.O., S.111.

[32] Atteslander, P., ebenda.

[33] Atteslander, P., a.a.O., S. 109

[34] Atteslander, P., a.a.O., S. 110.

[35] Atteslander, P., a.a.O., S. 110.

[36] Atteslander, P.: a.a.O., S. 111.

[37] Atteslander, P,: Methoden der empirischen Sozialforschung, 2. Auflage, Berlin, New York 1971., S. 139.

[38] Bales, R. F.: Die Interaktionsanalyse: Ein Beobachtungsverfahren zur Untersuchung kleiner Gruppen, in: Rene König (Hrsg.): Beobachtung und Experiment in der Sozialforschung, 8. Auflage, Köln 1972, S. 148 ff.

[39] Bales, R. F., a.a.O., S. 151 f.

[40] Bales, R. F., a.a.O., S. 152.

[41] Bales, R. F., a.a.O., S. 148.

 

 

[42] Mayntz, Holm, Hübner, a.a.O., S. 95 ff.

[43] Bales, R. F., a.a.O., S. 155.

[44] Bales, R. F., ebenda

[45] Mayntz, Holm, Hübner, a.a.O., S. 95 ff.

[46]Mayntz, Holm, Hübner, a.a.O., S. 97.

[47]Mayntz, Holm, Hübner, ebenda

[48]Mayntz, Holm, Hübner, a.a.O., S. 92.

[49]Mayntz, Holm, Hübner, ebenda.

[50]Mayntz, Holm, Hübner, ebenda

[51]Mayntz, Holm, Hübner, a.a.O., S.93.

 

 

[52]Friedrichs, J.: ,a.a.O., S. 310

[53]Friedrichs, J.: ,a.a.O., S. 312.

[54]Friedrichs, J.: ebenda

[55]Friedrichs, J:. a.a.O., S. 314.

 

[56]Friedrichs, J., a.a.O., S. 286.

[57]Friedrichs, J. ebenda.

[58]König, R.: Die Beobachtung, in: Rene König (Hrsg.) Grundlegende Methoden und Techniken der empirischen Sozialforschung, I. Teil, Bd. 2, 3. Auflage, Stuttgart 1973., S. 38.

[59]Atteslander, P., a.a.O., S. 149ff

[60]Albrecht, Günter: Nicht-reaktive Messung und Anwendung historischer Methoden, in: Jürgen van Koolwijk und Maria Wieken-Mayser (Hrsg.): Techniken der empirischen Sozialforschung, 2. Band, München, Wien 1975, S. 15.

[61]Albrecht, Günter: Nicht reaktive Messung und Anwendung historischer Methoden, in: Jürgen van Koolwijk und Maria Wieken-Mayser (Hrsg.): Techniken der empirischen Sozialforschung, 2. Bd., Untersuchungsformen, München, Wien 1975.

[62]Huber, O., a.a.O., S. 130.

 

[63]Friedrichs, J., a.a.O., S. 282.