Materialien zum Politikunterricht

 

 

(Auszüge aus den Parteiprogrammen von CDU und CSU)

Die inhaltlichen Verantwortlichkeiten liegen bei den jeweiligen Parteien

 

CSU

 

1 Orientierung im Wandel

 

Mit bewährten Grundsätzen Herausforderungen meistern.

 

In einer Zeit rascher gesellschaftlicher Veränderungen, eines allgemeinen Wertewandels und des vielfachen Umbruchs schöpft die CSU ihre Orientierung aus einer ungebrochenen Tradition. Die CSU will die gesellschaftliche und politische Entwicklung gestalten.

 

Dabei weiß sie, daß in einer differenzierten, von Wissenschaft und Technik bestimmten Welt mit komplizierten nationalen und internationalen Strukturen alle Probleme und Ziele auf vielfältige Weise miteinander verflochten sind. Deshalb kann es keine einfachen Lösungen geben. Vor jeder politischen Entscheidung müssen vielfältige und komplexe Zusammenhänge, Ursachen und Wirkungen bedacht werden.

 

1. Die CSU kann auf bewährten Grundsätzen aufbauen

 

Die Christlich-Soziale Union muß die Grundlagen ihres politischen Denkens und Handelns nicht korrigieren. Die politischen Leitideen von freiheitlichem Rechtsstaat und Sozialer Marktwirtschaft haben sich als überlegen erwiesen. Subsidiarität und Föderalismus waren für die CSU stets die unverzichtbaren Pfeiler einer freiheitlichen Staats- und Gesellschaftsordnung. In allen europäischen Ländern setzt sich die Erkenntnis durch, daß ein in Freiheit geeintes Europa nur auf der Grundlage dieser Bauelemente entstehen kann.

 

Mittelpunkt der Politik der CSU sind weiterhin der Mensch und seine Freiheit. Denn der Mensch ist nach dem christlichen Menschenbild zur Freiheit, zur Selbstverantwortung bestimmt. Er lebt in der Spannung zwischen Selbstbestimmung und Solidarität. Zur Verantwortung des Menschen gehört, daß er seine Freiheit nicht auf Kosten anderer auslebt, seine Interessen mit dem Gemeinwohl in Übereinstimmung bringt, sich seinen Mitmenschen verpflichtet weiß und solidarisch handelt. Der freie, in seinem Gewissen gebundene, selbst- und mitverantwortliche Bürger, nicht der Untertan und nicht der verantwortungslose Individualist, sind Maßstab unserer Politik. In dieser Wertgebundenheit will die CSU unsere freie und offene Gesellschaft gestalten.

 

Christliches Menschenbild, Selbstverantwortung in Solidarität und Subsidiarität als die Markenzeichen christlich-sozialer Politik sind als Grundlagen und Ordnungsprinzipien für Staat und Gesellschaft aktueller denn je.

 

 

 

CDU

 

WER WIR SIND

 

1.      Die Christlich Demokratische Union Deutschlands ist eine Volkspartei. Sie wendet sich an alle Menschen in allen Schichten und Gruppen unseres Landes. Unsere Politik beruht auf dem christlichen Verständnis vom Menschen und seiner Verantwortung vor Gott. Für uns ist der Mensch Geschöpf Gottes und nicht das letzte Maß aller Dinge. Wir wissen um die Fehlbarkeit des Menschen und die Grenzen politischen Handelns. Gleichwohl sind wir davon überzeugt, dass der Mensch zur ethisch verantwortlichen Gestaltung der Welt berufen und befähigt ist.

 

2.      Wir wissen, dass sich aus christlichem Glauben kein bestimmtes politisches Programm ableiten lässt. Aber das christliche Verständnis vom Menschen gibt uns eine ethische Grundlage für verantwortliche Politik. Aus der Berufung auf christliche Überzeugungen folgt für uns nicht der Anspruch, nur innerhalb der Christlich Demokratischen Union sei Politik aus christlicher Verantwortung gestaltbar. Die CDU ist für jeden offen, der die Würde und Freiheit aller Menschen und die daraus abgeleiteten Grundüberzeugungen unserer Politik bejaht. Dies ist die Grundlage für das gemeinsame Handeln von Christen und Nichtchristen in der CDU.

 

3.      Die Christlich Demokratische Union Deutschlands wurde von Menschen gegründet, die nach dem Scheitern der Weimarer Republik, den Verbrechen des Nationalsozialismus und angesichts des kommunistischen Herrschaftsanspruchs nach 1945 die Zukunft Deutschlands mit einer christlich geprägten, überkonfessionellen Volkspartei gestalten wollten. Konrad Adenauer und Ludwig Erhard, Jakob Kaiser und Helene Weber, Andreas Hermes und Gebhard Müller, Hermann Ehlers, Eugen Gerstenmaier und Karl Arnold, Elisabeth Schwarzhaupt und Heinrich von Brentano haben gemeinsam mit vielen anderen die CDU geprägt und eine christlich-demokratische Tradition in Deutschland begründet. So entstand eine neue Volkspartei, in der sich katholische und evangelische Christen, Konservative, Liberale und Christlich-Soziale, Frauen und Männer aus verschiedenen Regionen, aus allen sozialen Schichten und demokratischen Traditionen zusammenfanden.  Die CDU hat damit einen neuen Anfang in der deutschen Parteiengeschichte gesetzt. Ihre geistigen und politischen Wurzeln liegen im christlich motivierten Widerstand gegen das nationalsozialistische Terrorregime, in der Sozialethik der christlichen Kirchen und in der liberalen Tradition der europäischen Aufklärung.

 

4.      Auf der Grundlage gemeinsamer Wertüberzeugungen haben sich die Mitglieder der CDU ihrer Verantwortung gestellt und die politischen Grundentscheidungen im freien Teil Deutschlands durchgesetzt - für die freiheitliche und rechtsstaatliche Demokratie, für die Soziale Marktwirtschaft und die Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Werte- und Verteidigungsgemeinschaft, für die Einheit der Nation und die Einigung Europas.

 

5.      Es gehört zur Tragik der deutschen Nachkriegsgeschichte, dass Deutschland geteilt wurde und die Menschen im Osten Deutschlands erneut den Diktaturen eines totalitären Systems unterworfen wurden. Von aufrechten Frauen und Männern gegründet, geriet die CDU in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR zunehmend in das Mahlwerk des totalitären Regimes. An die Stelle demokratischer Prinzipien traten die Mechanismen des sozialistischen Zentralismus. Vielen Menschen, die den christlich-demokratischen Werten nahestanden, war so der Weg zur Mitarbeit versperrt. Andere blieben trotz innerer Zweifel in der Partei. Trotz Benachteiligungen und persönlicher Risiken haben viele Mitglieder ihre innere Unabhängigkeit bewahrt. Sie konnten jedoch nicht verhindern, dass Bequemlichkeit, Opportunismus und Kollaboration bis hin zur persönlichen Skrupellosigkeit einzelner das Bild der Partei prägten. Die CDU nimmt die ganze Geschichte Deutschlands und damit auch die der eigenen Partei an und stellt sich dem notwendigen Prozess der Aufarbeitung und Erneuerung. Wir wollen dabei auch das Erbe der Bürgerbewegungen in der ehemaligen DDR aufnehmen und fortführen.

 

6.      Das christliche Verständnis vom Menschen ist unser geistiges Fundament und der historische Ausgangspunkt unserer Partei. Zu ihr gehören wertkonservative Gedanken ebenso wie christlich-soziale und liberale Überzeugungen. Diese Parteitradition wollen wir fortschreiben und dabei Bewährtes erhalten und Neues entwickeln. Die CDU will unterschiedliche Standpunkte durch gemeinsame Werte und Ziele verbinden. Unterschiede in den Meinungen und Interessen sollen offen, in gegenseitiger Achtung und Toleranz ausgetragen werden.

 

 

 

 

 

 

 

 

(Auszüge aus den Parteiprogrammen von 'Die Grünen', SPD, FDP, PDS)

Die inhaltlichen Verantwortlichkeiten liegen bei den jeweiligen Parteien

 

Die Grünen

 

Grundkonsens      Inhalt

 

Präambel

 

(1) Wir, DIE GRÜNEN und das BÜNDNIS 90, aus den Oppositionskulturen der beiden deutschen Staaten gewachsen, schließen uns zu BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zusammen, um als gemeinsame politische Kraft unter den neuen nationalen und globalen Herausforderungen für unsere demokratischen Reformziele zu kämpfen und politische Verantwortung zu übernehmen.

 

(2) Uns eint der Wille nach mehr Demokratie und sozialer Gerechtigkeit, das Gebot einer umfassenden Verwirklichung der Menschenrechte, das Engagement für Frieden und Abrüstung, Gleichstellung von Frauen und Männern, Schutz von Minderheiten, Bewahrung der Natur sowie umweltverträgliches Wirtschaften und Zusammenleben.

 

Unsere gemeinsame Organisation soll Kristallisationskern für alle Kräfte sein, die sich diesen Zielen verpflichtet fühlen. Wir wollen die Ideen, die Kritik und den Protest von Bürgerinnen und Bürgern aufnehmen, sie zu Aktivität ermutigen und ganzheitliche Konzepte entwickeln, die ihre Gestaltungskraft aus der Verbindung konkreter Utopien mit realisierbaren Schritten gewinnen.

 

(3) Wir wissen, daß die verpaßten Chancen der deutschen Vereinigung nur dann ausgeglichen und die schwere Hypothek ihres falschen Beginns nur dann abgetragen werden kann, wenn wir die Barrieren in den Köpfen und Herzen abbauen und uns gegenseitig in Achtung und Partnerschaft annehmen.

 

Ein Zurück in die alten Welten wird die Lösung der sich verschärfenden Probleme zwischen Ost und West sowie Nord und Süd nicht bringen. Nur ein fairer Interessen- und Lastenausgleich auf der Grundlage aktiver Solidarität, ein von gegenseitigem Verstehen und Toleranz bestimmtes Handeln werden ein Gemeinwesen fördern, das lebendigen Bestand hat und seine Verantwortung anderen Völkern und der natürlichen Umwelt gegenüber wahrnehmen kann.

 

 

1. Grundwerte

 

1.1. Menschenrechte

 

(4) Die Erfahrungen mit Nationalsozialismus und Stalinismus in Deutschland haben gezeigt, daß der Einsatz für die Menschenrechte, hier und überall in der Welt, zu den vordringlichsten Aufgaben jeder Politik gehört. Verwirklichung und Schutz der Menschenrechte sind Voraussetzung für eine demokratische, soziale und ökologische Politik.

 

(5) Die Menschenrechte können als präziser Maßstab zur Beurteilung des freiheitlichen und humanen Charakters einer politischen Ordnung sowie der ökonomischen Verhältnisse aufgefaßt werden. Ihre Erfüllung wird zum Kriterium für die innere Festigkeit und Zukunftsträchtigkeit einer politischen Ordnung.

 

An der Lebensqualität aller Menschen in einer Gesellschaft zeigt sich, inwieweit die Menschenrechte in einem Land gelten.

 

(6) Unser Verständnis der Menschenrechte stützt sich auf die drei Pakte der Vereinten Nationen. Es umfaßt die politischen BürgerInnenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und individuelle Freiheitsgarantien; die sozialen Existenzrechte; das Recht auf Schutz der Umwelt, Sicherung der Grundbedürfnisse sowie auf Bildung und Entwicklung. Diese Rechte sind unteilbar, gleichwertig und universell gültig. Dies muß sich in der praktischen Politik dahingehend auswirken, daß sie uneingeschränkt auch für ImmigrantInnen, Flüchtlinge, Kinder, Lesben und Schwule, Behinderte, Alte, Kranke, Arbeitslose, Obdachlose und Gefangene gelten.

 

(7) Diese Menschenrechte einschließlich des Rechts auf Asyl müssen über die UNO-Konventionen hinaus als einklagbare Grundrechte jedes Menschen in der Verfassung und durch Gesetze gesichert sein.

 

Elementare Rechte wie das Vereinigungs- oder das Versammlungsrecht dürfen in unserer Verfassung nicht weiterhin ausschließlich den Deutschen vorbehalten bleiben, sondern müssen uneingeschränkt für alle Menschen gelten. Zur umfassenden Verwirklichung der Menschenrechte gehören die volle Teilnahme ausländischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger am politischen Leben, die vollständige Gleichberechtigung der Geschlechter, der Verzicht auf jede Art von Diskriminierung sowie die konsequente Verankerung von Minderheitenrechten, da die Menschenrechte in einer Demokratie die wesentliche politische Funktion haben, Minderheiten in ihrer Identität zu schützen.

 

(8) Neben der verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Garantie sind wir daher bemüht die Menschenrechte auch im Alltag gegen staatliche Willkür, wirtschaftliche Übermacht, strukturelle Gewalt, Unmenschlichkeit, Brutalität oder Rassismus zu verteidigen. Unsere Politik beruht auf Einmischung und Solidarität mit den Betroffenen und richtet sich gegen Gleichgültigkeit und Ignoranz.

 

(9) Unsere Menschenrechtsauffassung verlangt vor allem festzustellen, wie konsequent die Menschenrechte in der alltäglichen und in der langfristigen Politik verwirklicht werden. Unser Verständnis der Menschenrechte geht von der Solidarität mit allen Opfern politischer und sozialer Menschenrechtsverletzungen aus. Deshalb bedeutet unser Einsatz für die Menschenrechte niemals einen Einsatz nur für die eigenen Rechte, sondern auch für die Rechte Anderer, im eigenen Land und weltweit. Eintreten für Menschenrechte schließt deshalb die Kritik an der Mitverantwortung der Bundesrepublik für Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern mit ein und muß sich auf alle Felder der Innen- und Außen-, Rechts- und Wirtschaftspolitik erstrecken.

 

(10) Die Menschenrechte sind unteilbar, selbst wenn wir wissen, daß die Erfüllung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nicht sofort und weltweit möglich ist und daß es durchaus zu Konflikten zwischen einzelnen Menschenrechten bzw. zwischen Menschenrechten und Überlebensstrategien kommen kann.

 

Unsere Aufgabe sehen wir darin, die Verweigerung oder Verletzung von Menschenrechten öffentlich anzuklagen, alle Menschenrechtsverletzungen zu verurteilen und uns mit den Ursachen dieser Verletzungen auseinanderzusetzen. Abrüstung, die Bewahrung der Umwelt und ein weltweiter Ausgleich zwischen Arm und Reich sind aus unserer Sicht Voraussetzungen für die uneingeschränkte und weltweite Verwirklichung der Menschenrechte.

 

 

 

 

SPD

 

I. Was wir wollen

 

Wir Sozialdemokraten, Frauen und Männer, kämpfen für eine friedliche Welt und eine lebensfähige Natur, für eine menschenwürdige, sozial gerechte Gesellschaft. Wir wollen Bewahrenswertes erhalten, lebensbedrohende Risiken abwenden und Mut machen, Fortschritt zu erstreiten.

 

Wir wollen Frieden.

 

Wir arbeiten für eine Welt,

·   in der alle Völker in gemeinsamer Sicherheit leben, ihre Konflikte nicht durch Krieg oder Wettrüsten, sondern in friedlichem Wettbewerb um ein menschenwürdiges Leben austragen,

·   in der eine Politik der Partnerschaft und eine Kultur des Streits den Konflikt zwischen 0st und West überwinden,

·   in der alle Völker Europas zusammenarbeiten in einer demokratischen und sozialen Ordnung des Friedens, von der Hoffnung und Frieden für die Völker des Südens ausgeht,

·   in der die Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas durch eine gerechte Welt wirtschaftsordnung faire Chancen zu eigenständiger Entwicklung haben. Wir wollen eine Weltgesellschaft, die durch eine neue Form des Wirtschaftens das Leben von Mensch und Natur auf unserem Planeten dauerhaft bewahrt. Wir wollen die gesellschaftliche Gleichheit von Frau und Mann, eine Gesellschaft ohne Klassen, Privilegien, Diskriminierungen und Ausgrenzungen.

 

Wir wollen eine Gesellschaft, in der alle Frauen und Männer das Recht auf humane Erwerbsarbeit haben und alle Formen der Arbeit als gleichwertig behandelt werden. Wir wollen durch solidarische Anstrengung Wohlstand für alle erreichen und gerecht verteilen.

Wir wollen, daß Kultur in ihren vielfältigen Erscheinungsformen das Leben aller Menschen bereichert.

 

Wir wollen Demokratie in der ganzen Gesellschaft, auch in der Wirtschaft, im Betrieb und am Arbeitsplatz verwirklichen wirtschaftliche Macht begrenzen und demokratisch kontrollieren.

 

Wir wollen, daß wirtschaftliche Grundentscheidungen, vor allem darüber, was wachsen und was schrumpfen soll, demokratisch getroffen werden.

 

Wir wollen, daß die Bürger über die Gestaltung der Technik mitbestimmen, damit die Qualität von Arbeit und Leben verbessert wird und die Risiken der Technik gemindert werden.

 

Wir wollen einen modernen demokratischen Staat, getragen vom politischen Engagement der Bürgerinnen und Bürger, der zur Durchsetzung gesellschaftlicher Ziele fähig ist und sich ständig an neuen Aufgaben wandelt und bewährt. Bloßes Fortschreiben bisheriger Entwicklungen ergibt keine Zukunft mehr. Wir wollen Fortschritt, der nicht auf Quantität, sondern auf Qualität, auf eine höhere Qualität menschlichen Lebens zielt. Er verlangt Umdenken, Umsteuern Auswählen und Gestalten, vor allem in Technik und Wirtschaft. Je gefährdeter die Welt, desto nötiger der Fortschritt. Wer Bewahrenswertes erhalten will, muß verändern: Wir brauchen einen Fortschritt, der den Frieden nach innen und außen sichert, das Leben von Mensch und Natur bewahrt, Angst überwindet und Hoffnung weckt. Wir brauchen einen Fortschritt, der unsere Gesellschaft freier, gerechter und solidarischer macht. Ohne diesen Fortschritt hätte der Rückschritt freie Bahn. Darum wollen wir Sozialdemokraten gemeinsam mit den demokratischen Sozialisten aller Länder für ihn arbeiten.

 

 

II. Die Grundlagen unserer Politik

 

1. Grunderfahrungen und Grundwerte

Die bürgerlichen Revolutionen der Neuzeit haben Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit mehr beschworen als verwirklicht.

Deshalb hat die Arbeiterbewegung die Ideale dieser Revolutionen eingeklagt: Eine solidarische Gesellschaft mit gleicher Freiheit für alle Menschen. Es ist ihre historische Grunderfahrung, daß Reparaturen am Kapitalismus nicht genügen. Eine neue Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft ist nötig.

 

Die Sozialdemokratie führt die Tradition der demokratischen Volksbewegungen des neunzehnten Jahrhunderts fort und will daher beides: Demokratie und Sozialismus, Selbstbestimmung der Menschen in Politik und Arbeitswelt.

 

Dennoch ist ihre Geschichte nicht frei von Fehlern und Irrtümern: Im Ersten Weltkrieg enttäuschte die sozialdemokratische Arbeiterbewegung Europas viele in der Hoffnung, sie könne den Frieden erzwingen. Sie entzweite sich über das Verhältnis von nationalen zu internationalen Aufgaben der Arbeiterklasse.

 

Später trennten sich die Kommunisten, die vorgeblich im Namen der Arbeiterklasse die Diktatur ihrer Partei errichteten, von den demokratischen Sozialisten, die durch Reformen in parlamentarischen Demokratien eine bessere Ordnung der Gesellschaft anstrebten. Die Ordnungen, die als angeblich sozialistische Alternative zum Kapitalismus entstanden, haben die von ihnen geweckte Hoffnung bitter enttäuscht. Anstelle einer Gesellschaft brüderlich und schwesterlich zusammenlebender Menschen haben sie die Herrschaft einer privilegierten Bürokratie errichtet die weder politische Freiheit noch kulturelle Entfaltung zu sichern vermochte.

 

Die Sozialdemokratische Partei übernahm am Ende des Ersten Weltkrieges erstmals nationale Regierungsverantwortung. Sie erwies sich als zuverlässigste Stütze der ersten deutschen Demokratie und begann mit dem Aufbau des demokratischen Sozialstaats. Die Sozialdemokratie trat der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entgegen, vermochte sie aber nicht zu verhindern. Ihr opferreicher Widerstand im Dritten Reich legitimierte den besonderen Anspruch der Sozialdemokraten, beim Aufbau der zweiten deutschen Demokratie prägend mitzuwirken. Die Erfahrungen mit Diktatur und Terror lassen uns besonders wachsam sein gegenüber der Verharmlosung nationalsozialistischer Verbrechen und einem Wiederaufleben faschistischer Ideologie. Der Widerstand vertiefe die Erfahrung, daß auch Menschen unterschiedlicher Glaubenshaltungen und politischer Grundüberzeugungen gemeinsam für gleiche politische Ziele arbeiten können.

 

Die politischen Machtverhältnisse, die unterschätzte Dynamik des Kapitalismus, aber auch die mangelnde Fähigkeit der Sozialdemokraten, Mehrheiten zu mobilisieren, verhinderten, daß sozialdemokratische Reformpolitik undemokratische Grundstrukturen des überkommenen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems tiefgreifend verändern konnte. Die Macht der Großwirtschaft, das Übergewicht der Kapitaleigner und Unternehmensmanager konnten eingeschränkt, aber nicht überwunden werden. Die Einkommens- und Vermögensverteilung blieb ungerecht.

 

Das Godesberger Programm zog aus den geschichtlichen Erfahrungen neue Konsequenzen. Es verstand Demokratischen Sozialismus als Aufgabe, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität durch Demokratisierung der Gesellschaft, durch soziale und wirtschaftliche Reform zu verwirklichen.

 

Die Sozialdemokratische Partei stellte sich in Godesberg als das dar, was sie seit langem war: die linke Volkspartei. Sie wird es bleiben.

 

Als Regierungspartei konnte die Sozialdemokratie beachtliche Erfolge erringen: Rechte für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Betrieb und die Beteiligungsrechte der Bürger und Bürgerinnen erweitern, den Sozialstaat ausbauen und rechtliche Benachteiligung ganzer Bevölkerungsgruppen beseitigen. Aber auch in dieser Zeit unterlagen Sozialdemokraten Fehleinschätzungen oder trafen falsche Entscheidungen: Die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen hatte noch nicht den notwendigen Stellenwert, der Extremistenbeschluß hat Gegnerinnen und Gegner unserer Demokratie eher geschaffen als bekämpft. Die herausragende Leistung dieser Zeit bleibt die Aussöhnung mit den Staaten Osteuropas und die Sicherung des Friedens.

 

Im Ostteil Deutschlands unterbanden nach 1945 die Sowjetische Militäradministration und die KPD eine eigenständige Entwicklung der schnell zur stärksten Partei aufsteigenden Sozialdemokratie. Unter Täuschung, Druck und Zwang vollzog sich die Gründung der SED als künftiger Staatspartei der DDR. Die Kommunisten mißbrauchten dabei die in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur entstandene Sehnsucht, die Spaltung der Arbeiterbewegung möge im Zeichen einer demokratischen Erneuerung überwunden werden. Bereits damals wie auch in den folgenden Jahren wurden Sozialdemokraten Opfer der kommunistischen Diktatur, viele wurden verfolgt, inhaftiert, aus dem politischen Leben entfernt, zum Verlassen der DDR gezwungen, nach Sibirien verschleppt; eine unbekannte Anzahl von ihnen hat dabei den Tod gefunden. 43 Jahre lang war die Sozialdemokratie im Osten Deutschlands verboten und ”Sozialdemokratismus” eines der besonders intensiv gepflegten ideologischen Feindbilder, dennoch hielten in den Ostbezirken Berlins Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bis zum August 1961 die Parteiarbeit aufrecht.

 

Mit ihrer Politik der Entspannung, des Dialogs und der kleinen Schritte haben die SPD und die von ihr geführten Bundesregierungen ausgehend von den politischen Realitäten die Grenzen durchlässig gemacht und einen wichtigen Beitrag zur Erweiterung der inneren Freiheitsspielräume für die Bürgerinnen und Bürger der DDR geleistet. Parteidiktatur und bürokratisierte Planwirtschaft erwiesen sich als unfähig, Staat und Wirtschaft der DDR in eine sichere Zukunft zu führen. Mit der Neugründung der Partei am 7. Oktober 1989 stellten ostdeutsche Sozialdemokraten den Allmachtsanspruch der SED radikal in Frage. Sie entschieden sich als erste innerhalb der revolutionären Bewegung in der DDR für die parlamentarische Demokratie und setzten damit das entschiedenste Zeichen, den SED-Staat von innen heraus zu überwinden.

 

Im Gefolge der revolutionären Bewegungen von 1989 in den Ländern Mittel- und Osteuropas zerfiel das auch ökonomisch zerrüttete kommunistische Weltsystem und endete der Ost-West-Gegensatz, der die Politik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestimmte. Das Ende des kommunistischen Weltsystems ermöglichte die Verwirklichung des demokratischen Selbstbestimmungsrechts in der DDR und schließlich die Beendigung der staatlichen Teilung Deutschlands durch die freie Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger der DDR. Die ostdeutschen Sozialdemokraten haben mitgeholfen, in der friedlichen Revolution die Geschicke Deutschlands zu wenden; sie haben wesentlich zum Glück der Einheit beigetragen. Sie machen die Gesamtpartei reicher durch ihre schwierigen Erfahrungen in der Diktatur, ihre friedfertige Standhaftigkeit und die Glaubwürdigkeit ihres Neuanfangs. Sei dem 27. September 1990 ist die SPD wieder, was sie seit ihrer Gründung vor weit über 100 Jahren hat sein wollen: die Partei der Sozialen Demokratie für das ganze Deutschland.

 

Die Einheit der deutschen Sozialdemokratie seit 1990 bildet eine wichtige Klammer zur Überwindung der Folgen der deutschen Teilung. Ihre Aufgabe ist der Abbau der fortwirkenden sozialen und ökonomischen Ungleichheiten. Dazu bedarf es solidarischer Anstrengungen und gemeinsamer Willensbildung. Gleiche Chancen für alle Deutschen in Ost und West herbeizuführen, das schulden wir den Grundsätzen unserer Partei, die stets eingetreten ist für Recht und Gerechtigkeit für alle. Der Partei und Staat gewordene Kommunismus gehört nun in Europa der Vergangenheit an. Das 20. Jahrhundert war auch geprägt durch die Folgen der Teilung der Arbeiterbewegung in zwei sich feindlich gegenüberstehende Hauptströmungen, in Sozialdemokraten und Kommunisten. Das Scheitern des Kommunismus bestätigt die Grundüberzeugung der Sozialdemokraten, die sie in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus verfochten haben: Das Ziel einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaftsordnung ist für alle Zukunft nicht von der Garantie der Menschenrechte als Voraussetzung politischer und sozialer Gleichheit zu trennen. Die Entscheidung der demokratischen Sozialisten, auf der Grundlage von Demokratie und Menschenrechten eine bessere Ordnung der Gesellschaft zu verwirklichen, hat sich als der richtige Weg auch für die Zukunft erwiesen. Diesem Denken hatten sich zunächst die demokratischen Reformbewegungen und später auch Teile der kommunistischen Parteien in Mittel- und Osteuropa verpflichtet. Aus einigen von ihnen sind neue, demokratisch-sozialistische Parteien hervorgegangen, die ihre politische Heimat heute in der Sozialistischen Internationale sehen. Diesen noch nicht abgeschlossenen Wandel begrüßt die Sozialdemokratie und wird ihn weiter fördern, wenn er mit einer glaubwürdigen Distanzierung vom historischen und politischen Erbe des Partei- und Staatskommunismus verbunden ist.

 

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind stolz darauf, in der Tradition einer Bewegung zu stehen, die niemals Krieg, Unterdrückung oder Gewaltherrschaft über unser Volk gebracht, sondern aus dem rechtlosen Proletariat selbstbewußte Staatsbürgerinnen und Staatsbürger gemacht hat.

 

Die Sozialdemokratische Partei steht, seit es sie gibt, für Frieden und internationale Zusammenarbeit. Inzwischen ist der Internationalismus der sozial demokratischen Tradition zur einzig verantwortbaren Realpolitik geworden.

 

In unserer Geschichte wurzeln die Grundwerte des Demokratischen Sozialismus. Sie bilden auch künftig das Fundament unserer Reformpolitik.

 

 

 

FDP

Einleitung

 

Der Liberalismus begann seinen historischen Weg als Philosophie der Freiheit und als politische Bewegung für die Rechte des Einzelnen. Die Willkürherrschaft des Absolutismus stand im Widerspruch zur Idee einer freiheitlichen Gesellschaft. Mit dem Verfassungsstaat hat der Liberalismus den Absolutismus überwunden.

 

Als erste politische Bewegung hat der Liberalismus dem einzelnen Bürger, seiner menschlichen Würde und seinen Menschenrechten der Freiheit und Gleichheit Vorrang vor der Macht des Staates eingeräumt. Schritt für Schritt verwirklichten Liberale den modernen Verfassungsstaat mit individuellen Grundrechten, der freien Entfaltung der Persönlichkeit, dem Schutz von Minderheiten, der Gewaltenteilung und der Rechtsbindung staatlicher Gewalt.

 

Der Liberalismus hat als Freiheitsbewegung nicht nur für die Gleichheit vor dem Gesetz gekämpft, sondern auch für Chancengleichheit in der Gesellschaft. Mit der Marktwirtschaft und ihrer sozialen Verpflichtung hat der Liberalismus neue Chancen gegen Existenznot und konservative Erstarrung der gesellschaftlichen Strukturen eröffnet.

 

Die liberale Verfassung unserer Bundesrepublik Deutschland hat mehr demokratische Stabilität, mehr allgemeinen Wohlstand, mehr soziale Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit hervorgebracht, als dies je zuvor in der Geschichte der Fall gewesen ist. Und dennoch ist die Idee der Freiheit den schleichenden Gefahren der Gewöhnung und Geringschätzung ausgesetzt. Weniger Teilhabe am demokratischen Staat, weniger Chancen für ein selbstbestimmtes Leben durch weniger Chancen auf einen sicheren Arbeitsplatz, Entmündigungen durch kollektive Zwangssysteme und bevormundende Bürokratie sind neue Bedrohungen der Freiheit.

Teil I

 

 

 

Die F.D.P. trägt Verantwortung für das, was war, was ist und für das, was wird

 

Liberale haben nach 1945 der Idee der Freiheit zum erneuten Durchbruch verholfen. Die F.D.P. war stets der Motor für Reformen, wenn es um Richtungsentscheidungen zugunsten der Freiheit ging. Nur durch die F.D.P. konnte in den fünfziger Jahren die Soziale Marktwirtschaft gegen die Sozialdemokraten und Teile der Christdemokraten durchgesetzt werden. Nur durch die F.D.P. konnte sich in den siebziger Jahren mehr Bürgerfreiheit gegen konservative Rechts- und Gesellschaftspolitik durchsetzen. Die Liberalen waren Vorreiter für die Demokratisierung und Liberalisierung der Gesellschaft, gegen obrigkeits-

 

staatliche Bevormundung und Engstirnigkeit. Unsere Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung in den achtziger Jahren brachte neue Arbeitsplätze und mehr Wohlstand für mehr Bürger.

 

Ein großer Teil des Widerstands gegen das sozialistische Staatswesen erwuchs aus der Attraktivität des freiheitlich-liberalen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems. Das in den europäischen Integrationsprozeß eingebettete, vereinte Deutschland ist das freiheitlichste unserer Geschichte. Die aus der Wiedervereinigung erwachsen Aufgaben liegen den Liberalen besonders am Herzen.

 

Nie war unser republikanisches Gemeinwesen insgesamt demokratischer organisiert, unser Wohlstandsniveau höher und unsere Gesellschaft aufgeklärter. Und doch können wir nicht so weitermachen wie bisher. Millionenfache Arbeitslosigkeit in Deutschland ist eine Gefahr für die Freiheit. Deshalb ist die Überwindung der Arbeitslosigkeit die zentrale Frage der Zukunftsfähigkeit einer leistungsfähigen und solidarischen Gemeinschaft. Arbeitslosigkeit ist auch die Folge unterlassener Anpassungsprozesse in der Vergangenheit. Eine dauerhafte Überwindung der Arbeitslosigkeit erfordert eine fortlaufende Anpassung an sich ändernde Bedingungen. Die meisten Menschen spüren, was die Experten längst wissen: Unser Land ist nicht hinreichend für die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte gerüstet. Deutschland verliert dramatisch an Reformkraft, Wettbewerbschancen und Zukunftsfähigkeit.

 

In Deutschland hat sich die Politik immer mehr daran orientiert, was bei den Betroffenen gut ankommt, was gefällt. Sie hat sich zur Gefälligkeitspolitik entwickelt. Die Politik hat den Menschen immer mehr Risiken abgenommen und jedes Problem für lösbar erklärt. Die Bürger haben ihrerseits der Politik immer mehr die Lösung der Probleme zugewiesen. Die Überforderung des Staates ging einher mit der Unterforderung der Bürger.

 

Bei der Gefälligkeitspolitik kommt es nicht mehr darauf an, ob eine Entscheidung gut oder schlecht ist, sondern nur noch darauf, ob sie ankommt oder nicht. Die Gefälligkeitspolitiker bringen nicht mehr den Mut auf, auch Unpopuläres zu sagen: Unser Wohlstand der Gegenwart wird mit immer neuen Hypotheken auf die Zukunft finanziert. Mehr als 2 000 Mrd. DM Staatsverschuldung sind ein Skandal unserer Gefälligkeitspolitik, der der nächsten Generation nicht länger zugemutet werden darf. Die gesetzlichen Sozialsysteme sind derzeit Verträge zu Lasten künftiger Generationen. Sie nehmen den Bürgern den Freiraum für eigenverantwortliche Zukunftssicherung und sind schon heute kaum noch finanzierbar. Immer mehr Leistungsempfänger müssen durch immer weniger Beitragszahler mit immer höheren Beitragssätzen finanziert werden. Eine Umweltpolitik, die sich letztendlich in staatlichen Ge- und Verboten erschöpft, wird dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen im Interesse der nächsten Generationen nicht gerecht.

 

Bei der Gefälligkeitspolitik geht der Mut zu Reformen verloren. Besitzstände werden heiliggesprochen. Veränderungen werden als Bedrohung empfunden und von organisierten Interessengruppen bekämpft. Flankierung von Strukturwandel wird zur Dauersubventionierung. Steuern, Abgaben und Regelungswut treiben Arbeitsplätze aus unserem Land. Gefälligkeitspolitik und Staatsbürokratie mit ihrer Subventions- und Vollkaskomentalität führt zu Strukturkonservatismus und einem Mangel an bezahlbarer Arbeit, was wir heute dramatisch spüren. Dauerarbeitslosigkeit aber gefährdet die Lebenschancen künftiger Generationen. Undurchschaubare Sozialgesetze verteilen nach dem Gießkannenprinzip an alle etwas, aber immer weniger kommt bei den wirklich Bedürftigen an. Die Sozialstaatsklauseln in den Verfassungen werden als Blankovollmachten mißbraucht, um immer neue Ausgaben zu rechtfertigen. Solidarität und Mitmenschlichkeit verkommen zur bürokratischen Dienstleistung. Verantwortung wird verstaatlicht, statt beim Einzelnen gestärkt zu werden.

 

Die Gefälligkeitspolitik trifft keine Vorsorge für Bedürftigkeit, sondern bedient die Bedürfnisse von Interessengruppen. Jede Berufsgruppe erhält eine Sondervergünstigung, jeder Wechselfall des Lebens wird mit einer staatlichen Versicherung versehen. Der Staat ist zu einer Agentur für die Bedienung von Klientelinteressen und die Versicherung privater Lebensrisiken geworden. Viele haben die von der Politik und mächtigen Interessengruppen geschaffene Illusion einer Rundumbetreuung gerne geglaubt. Sie haben den Wettbewerb der Versprechungen mit ihrer Stimmabgabe honoriert. Die Erkenntnis wächst, daß die Gefälligkeitspolitik, die allen alles verspricht, unfinanzierbar geworden ist. Die Bürger spüren: Die Gefälligkeitspolitik kann nicht halten, was sie verspricht. Der Bürokratiestaat bevormundet den Bürger. Der Steuerstaat enteignet Leistung und Chancen. Der Schuldenstaat vernichtet Zukunft.

Wer dem Staat immer mehr Aufgaben aufbürdet, nimmt Steuererhöhungen und Verschuldung zur Finanzierung dieser zusätzlichen Aufgaben in Kauf. Wer über steigende Steuern klagt, darf nicht gleichzeitig nach immer neuen Wohltaten rufen. Die Neigung der Politik, jedes Problem mit staatlichen Programmen lösen zu wollen, korrespondiert mit der Neigung vieler Bürger, immer mehr Ansprüche an den Staat zu stellen. Die Trennung zwischen Freiheit und Verantwortung - möglichst viele Rechte und Freiheiten beim Bürger und möglichst viele Pflichten und Verantwortung beim Staat - führt nicht nur zur Unfinanzierbarkeit unseres Gemeinwesens, sondern zum Verlust von Freiheitlichkeit und Engagement in unserer Gesellschaft.

 

Die Gefälligkeitspolitik zeigt sich auch im Umgang mit den Bürgerrechten. Statt die Ursachen von Regelverstößen anzugehen oder bestehende Gesetze durchzusetzen, werden Regeln symbolisch verschärft. In allen Parteien suchen sozialdemokratische Konservative und konservative Sozialdemokraten ihren politischen Erfolg in der Konkurrenz um die bessere Fortsetzung des falschen Weges. Eine politische Kraft ist notwendig, die unbeirrt durch den Zeitgeist die Dinge beim Namen nennt und für ihren Weg wirbt: Für den Weg in die offene Bürgergesellschaft.

 

 

 

PDS

 

PROGRAMM DER PARTEI DES DEMOKRATISCHEN SOZIALISMUS

( Beschlossen von der 1. Tagung des 3. Parteitages der PDS,

29. bis 31. Januar 1993 )

 

Die Partei des Demokratischen Sozialismus gibt sich dieses Programm in einer Zeit, die durch geschichtlich beispiellose Umbrüche in den globalen Entwicklungsbedingungen, eine Existenzkrise der gesamten Menschheit und das Scheitern des sozialistischen Versuchs in Osteuropa gekennzeichnet ist. Der wirtschaftliche und soziale Niedergang, die massenhafte politische Ausgrenzung in Ostdeutschland, Demokratie-, Sozial- und Rechtsabbau, großmachtpolitische, nationalistische und rechtsextremistische Tendenzen in ganz Deutschland nehmen bedrohliches Ausmaß an.

 

Viele Fragen nach der eigenen Geschichte sind noch nicht beantwortet, viele Fragen nach der Zukunft nicht beantwortbar. Wir sind Mitglieder einer Partei, die aus unterschiedlichen Traditionen hervorging. Die Ursprünge unserer Partei liegen im Aufbruch des Herbstes 1989 in der DDR, als wir aus der SED heraus dazu beitragen wollten, die Gesellschaft in der DDR umfassend zu reformieren.

 

Je näher der Anschluß der DDR an die alte Bundesrepublik Deutschland rückte, umso notwendiger wurde eine organisierte Zusammenarbeit von Sozialistinnen und Sozialisten aus Ost- und Westdeutschland. Deshalb entschieden wir uns, als Partei in ganz Deutschland zu wirken. Uns verbindet der entschlossene Kampf gegen politische Entmündigung, soziale Demontage und Zerstörung der menschlichen Würde.

 

Uns eint das Streben nach einer Welt des Friedens, der Freiheit, der sozialen Gerechtigkeit und der Demokratie. Gemeinsam sind wir der Ansicht, daß der kapitalistische Charakter der modernen Gesellschaften ursächlich verantwortlich ist für die Gefährdung der menschlichen Zivilisation und Kultur, den militaristischen Charakter der internationalen Beziehungen, die Krise der globalen Ökosphäre und das unbeschreibliche Elend vor allem auf der südlichen Hemisphäre. Wir sind uns daher einig, daß die Herrschaft des Kapitals überwunden werden muß. Die Menschheit muß bei Strafe ihres Untergangs in historisch kurzer Zeit einen Ausweg aus ihrer bisherigen zerstörerischen Entwicklungslogik finden. Auf die humanistischen und demokratischen Traditionen der sozialistischen Idee und die Erneuerung sozialistischer

 

Politik darf bei der Suche nach einer menschlichen Lebensperspektive nicht verzichtet werden. Betroffen und nachdenklich angesichts der Irrtümer, Fehler und Verbrechen, die im Namen des Sozialismus begangen wurden, befragen wir kritisch im Bewußtsein unserer eigenen Verantwortung für die Entstellung der sozialistischen Idee unsere geistige und politische Tradition. Gleichzeitig widersetzen wir uns der erinnerungslosen und resignativen Kapitulation vor den selbsternannten Siegern der Geschichte.

 

 

1. Die gegenwärtige Welt

 

Am Ende unseres Jahrhunderts bestimmen die entwickelten kapitalistischen Industriestaaten die wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Verhältnisse der Welt. Der mit der Oktoberrevolution 1917 begonnene Versuch, die kapitalistische Produktionsweise, Ausbeutung und Unterdrückung zu überwinden, ist in Europa gescheitert. Die Volksbewegungen in den osteuropäischen Ländern führten am Ende der 80er Jahre zum Zusammenbruch der erstarrten politischen Herrschaftssysteme und setzten für kurze Zeit wesentliche Demokratisierungen des gesellschaftlichen Lebens in Gang. Heute zeigt sich: Die herrschende kapitalistische Produktionsweise und die dominierenden politischen Systeme verhinderten, daß die demokratischen und sozialistischen Ideale dieser Bewegungen verwirklicht werden konnten. Mit dem Ende des "sozialistischen Weltsystems" ist keineswegs weltpolitische Stabilität entstanden. Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt. In Afrika, Asien und Lateinamerika verschärfen sich alte und entstehen neue Krisenherde. Auch in Europa spitzen sich soziale und ethnische Probleme zu. Kriegerische Konflikte dauern an. Die führenden kapitalistischen Staaten streben eine Weltordnung an, die ihre Vorherrschaft politisch und militärisch ausbaut. Eine neue, sozial gerechte und ökologisch verantwortbare Weltwirtschaftsordnung ist nicht in Sicht. Das internationale Finanzkapital hat seine Eigenständigkeit und Stärke weiter ausgebaut. Die transnationalen Konzerne werden immer mächtiger. Ein weltweit geführter Hochtechnologie-Wettbewerb zwischen den kapitalistischen Machtzentren verschlingt wesentliche Entwicklungspotenzen der gegenwärtigen Welt und wirkt global zerstörerisch. Die übergroße Mehrheit der Menschen bleibt von den Entscheidungen ausgeschlossen, die von Wenigen in den kapitalistischen Metropolen ohne Rücksicht auf die globale soziale, ökologische und politische Entwicklung getroffen werden. Die Dominanz des Profitprinzips, die soziale Ungerechtigkeit, die Einschränkung von Menschenrechten und Lebenschancen sowie die Ausgrenzung von Betroffenen aus der Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse stehen einer Lösung der Menschheitsprobleme entgegen.