EW Allgemeine Pädagogik
Erziehungsstile
Zum Begriff ‘Erziehungsstil’
Unterschied: Erzieherverhalten - Erziehungsstil
Erzieherverhalten meint meistens die spontanen
und wechselhaften Verhaltensweisen von Erziehern.
Erziehungsstil kennzeichnet eine durchgängige
Grundhaltung des Erziehers. Diese Grundhaltung zeigt sich in verschiedenen
Verhaltensweisen, die miteinander in Verbindung stehen und über einen
gewissen Zeitraum immer wieder auftreten.
Definition ‘Erziehungsstil’
Erziehungsstile sind keine echten Erzieherverhaltensweisen.
Es handelt sich um Möglichkeiten des Erzieherverhaltens, um
Handlungen, die ein Erzieher praktizieren könnte.
Erziehungsstile sind künstlich konstruierte
Ordnungssysteme und nicht real gegebene Grundzüge des Erzieherverhaltens.
In der Erziehungsstilforschung gibt es ‘typologische’
und ‘dimensionsorientierte’ Konzepte.
(Festlegung durch Beobachtung und ‘Messung’ des Erzieherverhaltens,
Beobachtungsskala)
Typologisches Konzept: (nach
Kurt Lewin)
Levin u. a. suchten einen neuen Weg der Erziehungsstilforschung.
Es sollten sogenannte Führungsstile formuliert werden. (keine
Erziehungsstile, obwohl die Begriffe meist synonym gebraucht werden)
Folgende Einteilung geht auf Lewin zurück:
-
autoritäre Verhaltensweisen
-
demokratische Verhaltensweisen
-
laissez-faire Verhaltensweisen
Diese Begriffe wurden aus der Politologie entlehnt.
Zunächst waren nur die beiden Extrempositionen
vorgesehen. (Polarität der Positionen)
Die Grundlage bot der Faschismus in Deutschland und
die Auswirkungen von Führungsstilen.
‘Experimente’ Lewins:
Art: Gruppenexperiment
Situationsbeschreibung: (Stichpunkte)
-
nichtschulischer Bereich
-
Gruppe von 10 - 12 jährigen
-
Treffen einmal wöchentlich zu Bastelarbeiten
-
Leitung jeder Gruppe durch einen Erwachsenen mit den
oben genannten Führungsstilen
-
Nach sechs Wochen Wechsel der GL
-
Jede Gruppe hatte mindestens 2 Erwachsene mit unterschiedlichen
Führungsstilen erlebt
-
Tätigkeiten und Verhalten von Kindern wurden in
B-Plänen protokolliert. (auch Gespräche)
Frage: Wie war das Ergebnis des Experiments?
Merkmale der Führungsstile
Autoritärer Führungsstil:
-
Alle Aktivitäten werden vom Leiter bestimmt
-
Er gibt Befehle und Kommandos
-
Er übernimmt für alle die Verantwortung
-
Er lobt und tadelt personenbezogen und kollektiv
-
Seine Haltung gegenüber der Gruppe ist meist freundlich
aber auch unpersönlich
-
Den GM ist das zukünftige Tun und Handeln meist
nicht bekannt
-
Der Leiter bestimmt die Gruppenzugehörigkeit der
jeweiligen Individuen
-
Er ergreift keine extremen autoritären Maßnahmen
wie Drohungen oder Einschüchterungen (i. d. R.) (Wenn - dann) (S -R-Psychologie)
Demokratischer Führungstil:
-
Leiter gibt der Gruppe einen Überblick über
die Gesamttätigkeiten und gibt das Ziel, die Richtung an.
-
Alle wichtigen Entscheidungen werden in der Gruppe diskutiert
-
Der Leiter unterstützt und ermutigt aktiv die GM
-
Die Zusammenarbeit der GM kann von denen gewählt
werden, die Aufgabenverteilung unterliegt der Verantwortung der Gruppe
-
Lob und Tadel erfolgen meist sachbezogen
-
Bei Problemen gibt der Leiter i. d. R. immer mehrere
Lösungsmöglichkeiten vor (Er kann, muß aber nicht. Je nachdem,
was er erreichen will.)
-
Der Leiter versteht sich als ‘richtiges’ GM (Beteiligung
an der Gruppenarbeit ca. ¼)
-
Der Leiter ist zu persönlichen Gesprächen
mit den GM über deren Probleme individuell bereit
-
Die Gruppenarbeit wird nicht durch Befehle oder Kommandos
unterbrochen
Laissez-faire-Führungsstil:
-
Leiter verhält sich weitgehend passiv, macht minimale
Vorgaben
-
Die Rolle des Leiters beschränkt sich z. B. auf
das Anbieten von unterschiedlichen Materialien
-
Der Leiter versichert, daß er Informationen und
Hilfen gibt
-
Die Arbeitsergebnisse der einzelnen GM oder der Gruppe
werden kaum bewertet
-
Der Leiter beteiligt sich nicht an der Gruppenarbeit
-
Er verhält sich freundlich aber ‘neutral’ zur Gruppe
und zu den GM
Kritik an Lewins Typologie:
wichtigste Punkte.
-
Die Begriffe 'autoritär' und 'demokratisch':
Die Verwendung in der Pädagogik kann eine vorurteilsbehaftete
Untersuchung (Meinung, Meinungsbildung) auslösen.
Eine Verfälschung von Untersuchungsergebnissen
ist möglich.
-
Fast regelmässig in der Theorie der Erziehungswissenschaften
aufzufinden:
Die Übertragung von amerikanischen Verhältnissen
auf andere Kulturkreise ist problematisch.
-
Eine Einteilung in nur drei Typen des Erzieherverhaltens
ist zu undifferenziert. Das Individualverhalten des Erziehers wird nur
unzureichend berücksichtigt.
-
Die von Kurt Levin erforschten Erziehungssituationen
waren künstlich geschaffen. Laborsituation, Laboreffekte, Experiment.
-
Die Ergebnisse von Kurt Levin sind nur bedingt auf die
Schulsituationen übertragbar. Institution, festgelegte Rahmenbedingungen,
Lehrpläne usw. Freizeitgruppe = freiwillig, Schulgruppe/Klasse = Zweck-
(Zwang-) bestimmtheit.
Untersuchung von Harald
H. Anderson (Kurzform)
Grundlagen:
Untersuchungen in amerikanischen Kindergärten
und Grundschulen.
Gegenstand der Untersuchungen: Beobachtung von Erzieherverhaltenseweisen.
Verbale und non-verbale Äußerungen der Erzieher und Lehrer in
Hinblick auf die Kinder.
Ergebnisse: Es wurde festgestellt, daß zwischen
dem Verhalten des Erziehers in Schule und Kindergarten und seiner Persönlichkeit
ein Zusammenhang besteht. (Kritik Vernachlässigt bei Lewin)
Auf der Grundlage seiner Forschungsergebnisse entwickelte
Anderson zwei gegensätzliche Unterrichtsstile:
den dominativen Stil
den integrativen Stil
Diese Stile sind denen von Lewin ähnlich, aber
weniger politisch belastet. (vgl. Politologie)
Erkenntnis: Auch hier kommen beide Stile in
Reinform in der Praxis nicht vor. Es wurden aber Verhaltensweisen registriert,
die auf eine Mischform beider Stile hindeuten.
Merkmale:
dominativer Stil:
Rigorose Gruppenlenkung,, alles wird vom Erzieher
gesteuert, Strafe und Tadel werden häufig verwendet, Der Erzieher
möchte vor allem seine Ansichten durchsetzen.
integrativer Stil:
Kinder werden mit Wünschen und Vorstellungen
ernst genommen, Kritik an GL ist sachlich und konstruktiv, Gemeinsame Ziele
werden erarbeitet, Gewünscht wird Spontaneität und Aktivität
der Kinder/Jugendlichen.
Auswirkungen der Stile auf das Verhalten und Erleben:
Der dominative Stil löste Feindseeligkeiten
und abweisendes, aber auch teilnahmsloses Verhalten aus. Die Kinder verhielten
sich sehr widersprüchlich; sie rebellierten gegen den Lehrer und 'beherrschten'
schwächere Mitschüler. Dieser Stil führte zu einer gewissen
Eigendynamik. Zu dominantes Verhalten des Lehrers löste eine 'Aggression'
gegen ihn aus, was wiederum bei ihm zu noch strengerer Reaktion führte.
Der integrative Stil des Lehrers löste
eine Nachahmung bei den Schülern aus. Die selbständige Beteiligung
am Unterricht nahm zu, die Aktivitäten steigerten sich, der Umgangston
war freundlich, herzlich und kooperativ.
Die wichtigsten Ergebnisse
Andersons: (Kurzform)
Verhaltensmerkmale des Lehrers der Schüler
dominativer Unterrichtsstil:
-
Entscheidungsmonopol Unselbständigkeit
-
Befehl, Wunschversagen Widersetzlichkeit
-
Verwarnung, Drohung, Konfliktzunahme
-
Diskriminierung, Zwang
-
Strenge Lenkung, straffe Passivität
-
Unterrichtsführung
Verhaltensmerkmale des Lehrers der Schüler
integrativer Unterrichtsstil:
-
Achtung der Schülerpersön- Aktivität,
Leistungswillelichkeit
-
Soziale Aufgeschlossenheit Soziale 'Tugenden'
-
Lob, Anerkennung, Aufmunterung Leistungsmotivation
-
Konstruktive Kritik Anerkennung der 'echten' Autorität
-
Toleranz Spontaneität, Konfliktabnahme
-
Verhaltensspielraum Eigeninitiative
Kritik an Anderson:
Die Untersuchung hat Ergebnisse Lewins bestätigt
und um wesentliche Bereiche erweitert. Trotzdem ist zu kritisieren:
-
Eine Unterscheidung in nur zwei Stile ist zu undifferenziert.
Nur wenige Gruppen und Klassen wurden untersucht
-
Seine Untersuchungen basieren auf unzureichender empirischer
Grundlage
-
Die Untersuchung fand auch in den USA statt (Fragwürdiger
Transfer)
Dimensionsorientiertes Konzept
Exkurs:
Werden die Möglichkeiten des Erzieherverhaltens
nur nach einem charakteristischen Merkmal gruppiert oder zusammengefaßt,
so spricht man von 'Typen' oder 'Typologien' des Erzieherverhaltens.
Dimensionsorientierte Konzepte:
Ausgehend von den amerikanischen Forschungen über
Erziehungsstile wurde bei deutschen Untersuchungen die Vorgehensweise verändert.
Es wurden keine Typologien sondern Dimensionen
des Erzieherverhaltens entwickelt.
Bekannteste Arbeiten hierzu: Anne-Marie u. Reinhard
Tausch (Tausch/Tausch).
Das Dimensionskonzept erlaubt Verhaltensweisen nach
bestimmten Hauptdimensionen einzuordnen und in einem zweidimensionalen
Koordinatensystem darzustellen.
Das Koordinatensystem wird bestimmt durch die Lenkungsdimension
und die emotionale Dimension. (vgl. Schaubild)
Auswirkungen der Hauptdimensionen des Erzieherverhaltens
Lenkungsdimension:
Starke Lenkung
-
schränkt Aktivitäten ein
-
Spannungen treten auf
-
Opposition wird gebildet
-
Die nichtkreative Leistung ist hoch
-
Schüler/Klienten projezieren das Lehrer-/Betreuerverhalten
auf sich, 'lenken' andere, schwächere Gruppenmitglieder
-
Aktivitäten sind fremdbestimmt (meistens)
Geringe Lenkung:
-
führt zu großer individueller Freiheit
-
Es bestehen viele Möglichkeiten kreativ zu handeln
-
Konsequenzen:
-
'Lenken' anderer, schwächer ist gering
-
Atmosphäre ist angenehm
-
Teilweise wird weniger geleistet als bei starker Lenkung
-
Aktivitäten sind selbstbestimmt (meistens)
Emotionale Dimension:
Große Wertschätzung
-
führt zu emotionale Sicherheit
-
Angst wird abgebaut
-
Spannungen können abgebaut werden
-
Oppositionelle Handlungen werden meistens aufgegeben
-
GM zeigen Selbstachtung und können sich partnerschaftlich
verhalten (meistens)
-
Positive Gefühlsvorgänge können stattfinden
Geringe Wertschätzung:
-
emotionale Unsicherheit wird gefördert
-
Selbstachtung kann verloren gehen
-
Unsicherheit kann zunehmen
-
Unangenehme Situationen können von den GM vermieden
werden in Erwartung höherer Wertschätzung
-
Negative Gefühlsvorgänge
Für Tausch/Tausch sind neben diesen Hauptdimensionen
noch weitere Dimensionen wichtig:
-
Dimension der Echtheit oder Kongruenz (wahre
Gefühle)
-
Dimension der Unechtheit oder Inkongruenz ('Maske')
In neuerer Zeit sind für Tausch/Tausch im wesentlichen
vier Humandimensionen bedeutsam:
-
Achtung, Wärme, Rücksichtnahme, (Mißachtung,
Kälte, Härte)
-
Einfühlsames Verstehen, nichtwertend (nichtverstehender
Umgang)
-
Echtheit und Aufrichtigkeit (Unaufrichtigkeit, Unechtheit)
-
nichtdirigierende, persönlichkeitsfördernde
Aktivitäten (Dirigismus)
Kritik an Tausch/Tausch
-
Das methodische Vorgehen war auf die Beobachtung der
sprachlichen Äußerungen reduziert (Beobachtungsfehler) Mimik
und Gestik wurden berücksichtigt. (Beobachtungsfehler) (vgl. Psychologie,
Beobachtungsfehler)
-
Das Unterrichtsthema wurde nicht in die Untersuchungen
mit einbezogen.
-
Das Konzept muß unter Berücksichtigung einer
adressaten- bzw. einer klientenbezogenen Arbeit unter Umständen modifiziert
werden.
-
(Tauglichkeit für die Sozialpädagogik und
Behindertenpädagogik muß geprüft werden)