Aus:
Strätz, Rainer, Demandewitz, Helga:
Beobachten, Anregungen für Erzieherinnen im Kindergarten, 4.
Aufl., Münster 2000, S. 11 ff
(1) Die Erzieherin muss auf die Kinder ihrer Gruppe individuell eingehen können.
Kindergartenkinder lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Das eine muss ermuntert werden, wo das andere eher gebremst werden müßte. In einer Spielgruppe wird sich das eine Kind mühelos behaupten, das andere bald an den Rand abgeschoben sein. Ein und dieselbe Verhaltensweise kann bei dem einen Kind einen Fortschritt, bei dem anderen einen Rückschritt darstellen. Deshalb wird die Erzieherin, die ihr Vorgehen plant oder Rückschau hält, kaum einmal sagen: ,,Ich will bei allenKindern . Statt dessen wird sie sagen: ,,Bei diesemKind will ich..., bei jenemdagegen will ich...". Um so vorgehen zu können, muss sie die Eigenarten, Interessen und Fähigkeiten der einzelnen Kinder möglichst genau kennen und dies setzt intensive und fortdauernde Beobachtungen voraus.
Wie kaum eine andere Einrichtungsform bietet der Kindergarten die Möglichkeit,
Kinder individuell zu betreuen und zu fördern. Das bedeutet nicht,
dass die erzieherischen Ziele willkürlich oder beliebig wären;
sie ergeben sich, indem die Erzieherin feststellt, was das
einzelne
Kind braucht.
(2) Die Erzieherin muss Veränderungen und
Entwicklungen in den Persönlichkeiten der Kinder feststellen können.
Danach laufen sie wieder zu der Stelle, an der man leicht auf die Umrandung klettern kann. Die Erzieherin fragt einen Besucher, ob ihm am Verhalten von Sabine etwas auffällt.
Dieser verneint; Sabine ordnet sich beim gemeinsamen Spiel ein, hat keine Sonderrolle, tut das, was die anderen Kinder auch tun. ,,Genau das ist es", sagt die Erzieherin. ,,Vor einem halben Jahr hat sie noch gedrängelt und geschubst, weil sie nicht abwarten konnte, bis sie dran war.
Die meisten Veränderungen vollziehen sich in kleinen Schritten (R. Bleckrnann). Sie springen daher nicht unmittelbar ins Auge; man muss genau hinsehen, um sie wahrzunehmen.
Die Erzieherin, die die Kinder ihrer Gruppe täglich
sieht, ist zudem noch in der schwierigen Lage, dass langsame, stetige Fortentwicklungen
für sie fast unmerklich vonstatten gehen können. In vergleichbarer
Lage sind auch Eltern bei ihren Kindern, während der Großtante,
die einmal im Jahr zu Besuch kommt, sofort auffällt: ,,Meine Güte,
wie haben sich die Kinder verändert!"
(3) Die Erzieherin muss ihre Angebote und Anregungen der jeweils aktuellen Interessen- und Bedürfnislage der Kinder anpassen.
Noch viel stärker als für Erwachsene gilt für Kinder: Was nicht von erlebbarer Bedeutung ist, gebt zum einen Ohr hinein, zum anderen wieder heraus. Kinder lassen sich Aktivitäten und Vorschläge kaum aufdrängen. Wenn sie etwas interessiert, wenn sie etwas wissen, gestalten oder erleben möchten, dann lassen sie sich nur schwer vertrösten oder abwimmeln.
Steffens Großmutter ist ins Krankenhaus eingeliefert
worden. Er fragt die Erzieherin, ob er ein Bild malen kann, das er ihr
schicken möchte. Natürlich darf er; die Erzieherin freut sich
nicht nur, dass er seiner ,Omi‘ eine Freude machen möchte. Sie hofft
nicht nur, dass das Malen eine Hilfe für ihn ist, mit der belastenden
Situation umzugehen. Sie weiß auch, dass andere Vorschläge und
Aktivitäten heute bei ihm auf taube Ohren stoßen würden.
(4) Die Erzieherin lernt, dass Ereignisse und Dinge für die Kinder eine andere Bedeutung haben können als für sie.
Immer wieder sind Erwachsene überrascht, wenn Kinder nicht so auf einen Gegenstand reagieren, wie sie sich das gedacht hätten, oder wenn Kinder sich für Dinge, die ,wichtig‘ oder ,aufregend‘ sind, in keiner Weise interessieren. Was für Kinder wichtig und bedeutungsvoll ist oder wird, lässt sich nicht immer vorausplanen.
Die Erzieherin war mit den Kindern im Wald; sie wollte sie für das Thema ,Herbst‘ interessieren. Im späteren Gespräch mit der Fachberaterin wurde ihr dann aber zunehmend deutlich, dass für die Kinder andere Gesichtspunkte im Vordergrund gestanden hatten: ,Sammeln‘ und ,Schatz‘.
Anfang April ist Steffen mit seinen Eltern auf einem
Waldspaziergang. Sie passieren gerade eine kleine Straßenbrücke
aus Beton, an deren Seite Abwasserrohre verlaufen, als Steffens Mutter
voller Freude Frühlingsboten entdeckt: ,,Schau mal, da sind Schmetterlinge!"
,,Ja," ruft Steffen in genau demselben Tonfall, ,,und Rohre!"
,Aufgestanden, Platz vergangen!‘ und fuhr davon." (nach Fite, 5. 304)
Wer sich bemüht, Kindern ,goldene Regeln‘ des Zusammenlebens beizubringen, muss nicht nur damit rechnen, dass sie unbeachtet bleiben. Es kann sogar passieren, dass mit ihnen Schindluder getrieben wird, so wie im vorigen Beispiel: Evan verwendet eine Regel als nützliches ,Argument‘ in einer Situation, für die das Prinzip nicht gedacht war. Ein Gegenbeispiel:
Sven fährt auf einem Dreirad, sein Zwillingsbruder .Jan mit einem Roller. Sven fragt: ,,Krieg‘ ich den Roller?" ,,Nein!" ,,Warum?", fragt Sven. ,,Ich hab‘ das noch nicht lange. Ich hab‘ mir das gerade erst geholt." Mit dieser Antwort gibt sich Sven zufrieden und fährt davon.
Hier haben Kinder einen Interessenkonflikt nicht gewaltsam ausgetragen und auch nicht die Hilfe eines Erwachsenen in Anspruch genommen. Sie haben ihn gelöst, indem sie von sich aus eine Regel anwandten, die ihnen beigebracht worden war (die Anwesenheit eines Erwachsenen wird darauf keinen Einfluss gehabt haben, denn er stand so weit weg, dass er gerade noch hören konnte, was gesprochen wurde, und schaute auch in eine andere Richtung).
Beide Beispiele zeigen der Erzieherin: Ein Thema
ist, nachdem es mit den Kindern besprochen wurde, nicht erledigt und abgehakt.
Es bleibt die Aufgabe, zu beobachten, ob es für die Kinder Bedeutung
erlangt hat.
(6) Die Erzieherin erhält Hilfen für die Beurteilung von Spielzeug und Materialien sowie Hinweise zur Raumgestaltung.
Die pädagogische Beurteilung von Spielzeug, Geräten und Material hängt nicht zuletzt davon ab, wie es von den Kindern angenommen wird, was sie tatsächlich damit anfangen. Man muss Spielzeug und Material in Gebrauch sehen, um den Blick für ihre Funktion und ihre pädagogische Bedeutung zu schärfen.
,,Die Puppenecke und Bauteppich lagen — zwar durch einen Schrank getrennt — direkt nebeneinander. Häufig entstanden hier Reibereien unter den Kindern, weil die verschiedenen Spielgruppen sich in ihren Aktivitäten gegenseitig behinderten; fast täglich gab es Ärger unter den Kindern, die bastelten und malten, weil die Größe des Tisches, an dem in der Regel gemalt wurde, zu klein war; die spielenden Kinder in der Puppenecke wurden oft gestört, weil die Malutensillen im Raumteilerschrank in der Puppenecke untergebracht waren; der Schrank mit den Tischspielen musste immer mit ständigem ,Nörgeln‘ meinerseits aufgeräumt werden, weil die Kinder alle Spiele regelrecht in den Schrank ,reinquetschten‘." (Arbeitshilfen, Anhang 4, Abschn. 1)
Auch für die Raumaufteilung gilt, dass sich
zwar manches zunächst am grünen Tisch planen lässt, jedoch
letztlich das Verhalten der Kinder Aufschluss über mögliche Fehleinschätzungen
und falsche Erwartungen gibt. Erst die Beobachtung macht auf mögliche
Schwierigkeiten aufmerksam.
In der Mittagszeit liest die Berufspraktikantin denjenigen Kindern, die nicht schlafen, ein Kapitel einer Geschichte vor Nach wenigen Minuten werden die meisten Kinder unruhig, einige schubsen oder kneifen sich gegenseitig. Zwei Kinder beginnen, sich zu unterhalten. Eins steht auf und wandert im Gruppenraum umher.
Zwei Tage später liest die Gruppenleiterin denselben Kindern eins der folgenden Kapitel vor Diesmal bleiben alle Kinder eine Viertelstunde lang ruhig und — soweit man das beobachten kann — interessiert bei der Sache. Für das unterschiedilche Verhalten der Kinder mag es viele Gründe gehen; dem Beobachter fällt vor allem der Unterschied in der Vortragsweise ins Auge. Im Unterschied zur Praktikantin:
— variiert die Gruppenleiterin sehr stark die Lautstärke und Stimmhöhe, insbesondere bei der Wiedergabe wörtlicher Rede,
— stellt ab und zu den Kindern Fragen, die sich auf frühere Kapitel oder den vermutlichen Fortgang der Geschichte beziehen, und
— kommentiert ab und zu das, was sie gerade vorgelesen hat.
Was liegt näher als der Schluss, dass das unterschiedliche
Verhalten der Kinder eine Reaktion auf die unterschiedlichen Formen des
Vortrags war?
Für den Stuhlkreis hat die Berufspraktikantin ein Lied komponiert, einen Vierzeiler, dessen zweite und vierte Zeile sich reimen Die ersten beiden Zeilen lauten:
Ein gelbes Auto fuhr ohne Hetz‘
ganz gemütlich durch die große Stadt.
Nachdem sie zweimal versucht hat, das Lied mit den Kindern zu singen, gibt Thomas — recht lautstark — eine eigene Version zum besten:
Ein gelbes Auto fuhr ohne Hetz‘
ganz gemütlich durch ein Spinnennetz.
Diese Fassung wird von den Kindern begeistert aufgenommen;
es dauert zehn Minuten, bis die Praktikantin ihre Version, von der sie
nicht abgeht, durchgesetzt hat. Die Störung, die sie hier erlebt hat,
gibt ihr auch Gelegenheit, darüber nachzudenken, welche Vers- und
Liedform für Kindergartenkinder die gewohnte ist.
(8) Durch intensive Beobachtung einzelner Kinder können sich die Beziehungen zwischen diesen Kindern und der Erzieherin verändern.
Eine intensive Beobachtung ist keine sterile Informationssammelaktion; sie kann ein neues und belebendes Element in der Beziehung zwischen Erzieherin und Kind darstellen, wie ein Erfahrungsbericht von S. Heck zeigt:
Im Verlauf des Projekts wurden Erzieherinnen gebeten, von bestimmten ,Problemkindern über 15 Tage hinweg möglichst detaillierte Verhaltensaufzeichnungen anzufertigen. Es zeigte sich, dass die Erzieherinnen am Ende der Beobachtungsphase ein anderes Bild von diesen Kindern gewonnen hatten: Fielen ihnen anfangs kaum einmal positive Seiten und Eigenschaften bei diesen Kindern ein, nahmen sie solche später in zunehmendem Maße wahr Ihnen fiel nicht mehr nur das auf, was sie störte, sondern immer stärker auch das, was ihnen gefiel.
Außerdem berichteten die Erzieherinnen, dass
auch die beobachteten Kinder ihr Verhalten ihnen gegenüber verändert
hatten: Die Kinder hätten sie in der Beobachtungsphase öfter
angesprochen, hätten ihnen gezeigt, was sie gerade gemacht hätten.
Die Kinder hatten offenbar die Tatsache, dass sie besonders be(ob)achtet
wurden, bemerkt, als wohlwollende Aufmerksamkeit ihnen gegenüber interpretiert
und entsprechend reagiert.
(9) Durch Beobachtung des Geschehens in der Gruppe läßt sich trockenes theoretisches Wissen veranschaulichen. Insbesondere die Eigenarten kindlichen Erlebens und Verhaltens werden elndrücklich sichtbar.
Manches von dem, was in Lehrbüchern der Entwicklungspsychologie steht, mag haargenau zutreffen‘ wirkt aber zunächst blutleer, solange es nicht durch eigene Erfahrung oder durch Fallbeispiele illustriert werden kann. So läßt sich beispielsweise nachlesen, dass bei Vierjährigen der Gedanke des Wettbewerbs eine Rolle zu spielen beginnt. Nur aus eigener Anschauung läßt sich aber nachvollziehen, bis zu welchen Formen der Wettbewerb sich steigern kann, welche Vereinseitigung des Sozialverhaltens damit oft verbunden ist und wie stark das Klima der gesamten Gruppe dadurch beeinflusst werden kann.
Für eine Kindergartenerzieherin ist die Einsicht besonders wichtig, dass das kindliche Verhalten nicht einfach einen Ausschnitt des Verhaltensrepertoires von Erwachsenen darstellt, sondern ganz anders strukturiert ist. Zum ganzheitlichen Erleben und Verhalten des Kindes gehört z. B., dass Kinder weit weniger als Erwachsene zwischen passivem Erleben und aktivem Handeln trennen. So ist es für sie selbstverständlich, Geschichten, die sie gehört haben, zumindest teilweise selbst nachzuspielen oder in anderer Weise aufzugreifen, wie das folgende Beispiel zeigt.
,,Bärbel und Steffi sind Freundinnen. Sie spielen oft zusammen. Die Erzieherin hat den Kindern die Geschichte von den Hirten an der Krippe erzählt. Schon seit mehreren Tagen hängt ein Weihnachtsbild in der Gruppe. Offenbar haben die beiden Mädchen das erst jetzt entdeckt. Sie stehen davor, erzählen sich gegenseitig, was sie sehen. Sie sehen auch knieende Hirten mit gefalteten Händen. Sie ahmen das Knien und das Händefalten unmittelbar vor dem Bild nach. Dabei vergleichen sie ihre eigene Haltung mit der Freundin und beide mit dem Bild. Es stört sie nicht‘ daß unmittelbar unter dem Bild ein Papierkorb steht. Im Gegenteil, er erscheint ihnen offenbar ganz brauchbar So können sie die gefalteten Hände anlehnen, wie die Hirten sie an der Krippe anlehnen. Sie sind mit ihrer Haltung offenbar zufrieden. Obwohl in der Geschichte keine singenden Hirten vorkommen, fängt Steffi an, ein Weihnachtslied zu singen. Bärbel stimmt ein." (Bleckmann, 5. 34)
Das Beispiel zeigt auch, wie zwanglos Kinder ein begonnenes Thema mit
anderen Mitteln und Ausdrucksformen weitergestalten, wenn es für sie
bedeutsam ist. Solche Beobachtungen können zu einer konstruktiven
Auseinandersetzung mit erzieherischen Prinzipien und Gewohnheiten führen.
Denn wenn zu beobachten ist, wie gern Kinder Ausdrucksmittel variieren,
dann muss daraus keine Pflichtübung werden (,,Jetzt malt doch mal
ein Bild zu der Geschichte, morgen lernen wir ein Lied dazu!"). Auf jeden
Fall aber müssen der Tagesablauf und das Gruppengeschehen so strukturiert
sein‘ dass einem Kind solche Möglichkeiten offenstehen, wenn es das
will. Manchmal sitzt ein Kind über längere Zeit ganz ruhig in
die Betrachtung eines Blattes versunken oder streicht immer wieder vergleichend
über zwei Stücke Stoff. Auch diese ruhigen, intensiven Situationen
brauchen nicht zum Programm erhoben zu werden (wie z. B. bei Montessori)‘
aber jede Erzieherin muss sich fragen, ob das Geschehen in ihrer Gruppe
solche Situationen zuläßt. Für die Beurteilung jedes pädagogischen
Prinzips ist es nützlich, sich zu fragen, welche Beobachtungen
zu seiner Entstehung geführt haben könnten.
Öfter verleitet die gleiche Wortwahl in der Schilderung zu der Annahme, dass Kinder bestimmte Tätigkeiten in derselben Art und Weise ausführen wie Erwachsene. Dies ist häufig nicht der Fall; die folgende Beobachtung zeigt, was alles passieren kann, wenn Kinder (aus Knete) ,Eiskugeln‘ herstellen:
,,Beim Kneten werden Menge, Größe und Form der hergestellten Kugeln verglichen. Material und Form werden nicht nur mit den Händen, sondern auch mit dem Gesicht erfühlt. Gelegentlich ist zu beobachten, wie die Kinder eine Kugel über Stirn, Backen und Lippen gleiten lassen. Außerdem probieren sie aus, ob die Kugel auch richtig über einen Tisch rollen kann. Manchmal macht es Spaß, die Kugel mit einem Schlag zu einem plattgedrückten Teller zu verformen oder den Finger hineinzustecken, so daß sie daran kleben bleibt. Gelegentlich ist zu beobachten, wie die Kinder eine ganze ,Kugelfamilie‘ herstellen. Dabei tauschen sie gesprächsweise ihre Erfahrungen aus, daß die Rollbewegungen der Hand bei großen Kugeln ganz andere sind als bei Meinen." (Merker Rüsing & Blanke, 5. 35 f.‘ Hervorhebung im Original)
Hier wird nicht einfach kindliche ,Phantasie‘ beschrieben, die Knete
zu Eiskugeln werden läßt. Es wird gezeigt, wie Kinder mit einem
Material umgehen, sich dessen Eigenschaften und ihre Handlungsmöglichkeiten
erarbeiten und was sie dabei lernen. Es wird ferner gezeigt, dass das Spiel
der Kinder nicht vor allem auf das Endprodukt hin ausgerichtet ist. Natürlich
wollen die Kinder Eiskugeln herstellen, die sie für ein Kaufladenspiel
brauchen. Das heißt aber nicht, dass sie sich vom Endziel daran hindern
lassen, andere Entwicklungsmögllchkeiten im Spiel mit Hingabe zu verfolgen.
Es gibt für sie keine Tätigkeiten zweiter Klasse, die nur der
Vorbereitung oder der Bereitstellung von Material dienen oder sonstwie
eher Mittel zum Zweck sind.
(10) Schilderungen von Ereignissen in der Gruppe können Gespräche mit Eltern oder KollegInnen erleichtern.
Immer wieder werden Erzieherinnen nach ihren Eindrücken von bestimmten Kindern gefragt oder sie möchten mit Eltern ein Gespräch über das führen, was ihnen bei einem Kind aufgefallen ist. Wenn nun das Verhalten eines Kindes nur sehr abstrakt und pauschal beschrieben wird, können sich erregte und unfruchtbare Debatten ergeben; dies gilt besonders dann, wenn Dinge angesprochen werden, die zumindest eine der Beteiligten als nicht wünschenswert oder unangenehm ansieht. Auf die pauschale Bemerkung: ,,Ihr Kind ist häufig aggressiv" wird eine Mutter mit der Schilderung von Ereignissen reagieren können, die das Kind als sehr friedfertig erscheinen lassen. Sie wird vielleicht auch fragen, was die Erzieherin denn unter ,,aggressiv" verstehe, und das weitere Gespräch wird dann eher Definitionsfragen gewidmet sein als der Klärung praktischer Probleme.
Schildert die Erzieherin dagegen den Punkt, um den es ihr geht, anhand einer Beobachtung aus dem Gruppengeschehen, kann sie dreierlei hoffen:
— Der kritische Punkt ist leichter zu akzeptieren, weil er als einzelnes Geschehen und nicht sofort als ,typisches‘ Ereignis zur Sprache kommt.
— Das Gespräch hat einen natürlichen Aufhänger und fordert zur
Diskussion möglicher Vorgehensweisen heraus.
— Eltern erhalten einen anschaulichen Einblick in das Geschehen in der Gruppe, an dem ihr Kind beteiligt ist.
Übrigens reagieren auch Kinder — mit Recht — gewöhnlich empfindlich auf allgemeine Behauptungen (,,Du tust nie, was ich Dir sage!"), während anhand von vorgefallenen Einzelereignissen eher ein ruhiges Gespräch mit ihnen zu führen ist.
Wenn eine Erzieherin von Eltern auf die Eigenarten oder die Entwicklung eines Kindes angesprochen wird, dann als Expertin: ,,Sie müssen das doch wissen!" Diese Rolle ist angenehm und ehrenvoll und die Versuchung, zu viel zu wissen, mehr zu behaupten als durch eigene Beobachtungen gedeckt ist, liegt auf der Hand.
Aber die ehrliche Antwort: ,,Ich muss darauf noch einmal genauer achten,
bevor ich etwas dazu sagen kann", ist oft die einzig mögliche. Umso
überzeugender wird die Erzieherin dann später ihr Fachwissen
einbringen können.
(11) Die Erzieherin kann die Prinzipien ihres pädagogischen Handelns besonders anschaulich anhand von praktischen Beispielen und Ereignissen aus ihrer Gruppe erläutern.
Die Erzieherin muss davon ausgehen, dass die Eigenarten und die Prinzipien ihrer Arbeit nicht unumstritten und vielen Außenstehenden nicht vertraut sind. Häufig wird sie in die Lage geraten‘ ihre Arbeitsweise erläutern und gegebenenfalls von anderen Vorstellungen abgrenzen zu müssen.
Vielleicht weiß sie noch aus ihrer Schulzeit oder Ausbildung, dass der interessanteste Unterricht, der anschaulichste Vortrag meist derjenige war, der nicht trocken und allgemein gehalten, sondern mit eigenen Erlebnissen, Einzelbeispielen oder mit treffenden Anekdoten gewürzt war
Insbesondere in Gebieten, die den Zuhörern nicht vertraut sind, gewinnen diese ohne Beispiele und Veranschaulichungen kaum den rechten Zugang.